Telefonseelsorge im Erzbistum Köln ist an Weihnachten ausgelastet

"Gott ist da, damit wir nicht alles selber tragen müssen"

An Weihnachten glüht die Leitung der Telefonseelsorge. Die Nachtschicht der katholischen Telefonseelsorge in Köln hat vor Heilig Abend Annelie Bracke übernommen. Sie sprach mit den Menschen vor allem über die Einsamkeit.

Autor/in:
Carsten Döpp
Einsamkeit an Weihnachten / © tommaso79 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Gerade Weihnachten ist eine sehr sensible Zeit. Die einen feiern mit der Familie, andere sind alleine und einsam. Wie intensiv war die Nacht?

Annelie Bracke, Leiterin der Katholischen Telefonseelsorge Köln / © Regina Gläßer (Katholische Telefonseelsorge Köln)
Annelie Bracke, Leiterin der Katholischen Telefonseelsorge Köln / © Regina Gläßer ( )

Annelie Bracke (Leiterin der Kölner Telefonseelsorge): Ich war die ganze Nacht beschäftigt. Zwar habe ich auch zwischendurch mal Pausen gemacht, aber ansonsten gab es rund um die Uhr Gespräche. Von 23 Uhr bis 7:30 Uhr morgens.

DOMRADIO.DE: Was waren das für Gespräche? 

Bracke: Sehr viele hatten mit Weihnachten zu tun, ein paar auch mit Magdeburg. Das war auch nicht überraschend. Das, was da geschehen ist, diese heftigen Bilder, lösen bei Menschen, die eigene Gewalterfahrungen erlitten haben, sehr starke Emotionen aus. Das ist nicht gekoppelt an Erfahrungen mit einem Amoklauf, das können auch Erfahrungen aus der Lebensgeschichte sein. Das war aber eben ein eher kleiner Teil. Und dann Weihnachten in allen Facetten. 

Annelie Bracke

"Gerade an Weihnachten sind die Emotionen immer sehr stark."

DOMRADIO.DE: Trauer, Einsamkeit, Stress oder was sind da die Themen? 

Bracke: Es gab Menschen, die sagten, dass sie allein seien, niemanden hätten mit dem sie zusammen sein könnten, niemanden der ihnen gut tut, dass sie auf sich achten müssten. Gerade an Weihnachten sind die Emotionen immer sehr stark. Manchmal sprachen die Menschen auch von einem Schamgefühl, weil sie alleine sind. Überall sieht man das Bild der heilen Familie, zumindest sieht das von außen so aus, und sie selber hätten niemanden. Dann fühlen sie sich noch zusätzlich schlecht, weil sie niemanden haben. 

Es gab aber auch die andere Seite, die gesagt hat: Ich habe mich bewusst entschieden bloß eine Freundin zu treffen und ansonsten bliebe die Person allein. Dass ihr das gut tue, dass sie das bewusst so für sich entscheiden würde, dass es ihr trotzdem wichtig sei, dass einfach mal auszusprechen. Andere sagten, sie hätten von einem Jahr einen Menschen verloren, zum Beispiel durch Trennung, oder die Eltern hätten sich gerade getrennt, es das erste Jahr mit Weihnachten und kleinen Kindern und man nicht wisse, wie man das jetzt gestalten solle nach der Trennung. Andere haben jemanden durch den Tod verloren. All diese Gefühle sind an Weihnachten besonders intensiv. 

DOMRADIO.DE: Sie hören den Menschen sehr intensiv zu, aber sie sprechen ja auch mit ihnen. Was geben Sie ihnen zurück?

Bracke: Das Wichtigste ist Zuhören, sich wirklich darauf einlassen. Da war ich schon oft auch wirklich sehr gerührt. Man kann da ja keine Rezepte verteilen, das machen wir sowieso nicht. Man versucht einfach dabei zu bleiben und zu verstehen wo das Gefühl herkommt, wo die Sehnsucht liegt, was zu Entscheidungen geführt hat, die die Menschen getroffen haben. Wir versuchen sie dann zu bestärken. Wenn jemand alleine sein wollte, weil es besser für die Person ist. Sich nicht zu schämen. Letztendlich geht es darum wirklich dabei zu sein, nah zu sein. 

Man erlebt dann immer, dass sich die Leute auch gut öffnen können. Das tun sie vielleicht manchmal noch nicht mal in ihrem Freundes- und Familienkreis. 

Annelie Bracke

"Dann kann schnell das Gefühl entstehen, dass die Einsamkeit selbstverschuldet sei."

DOMRADIO.DE: Fühlt sich Einsamkeit gerade an Weihnachten anders an?

Bracke: Das innere Bild ist, dass alle anderen im vertrauten Kreis sind. Gut, es gibt inzwischen auch Weihnachtspartys, aber das allgemeine Bild ist immer noch, dass man eng mit dem Partner, der Partnerin, der Familie, engen Freunden zusammen feiert und diese Geborgenheit miteinander erlebt. Und wenn man dann alleine da ist, kann schnell das Gefühl entstehen, dass die Einsamkeit selbstverschuldet sei und irgendwas ist mit der Person nicht in Ordnung ist. 

Für die, die sich bewusst entschieden haben, ist es häufig auch gut, wenn sie diesen Gefühlen Raum geben. Dann ist das Alleinsein vielleicht noch ein bisschen traurig, aber nicht mehr so schrecklich, wie wenn man sich wie ein Aussätziger fühlt. 

DOMRADIO.DE: Wie viel von dem, was Sie heute Nacht von den Menschen gehört haben, nehmen Sie selbst mit in Ihr Weihnachtsfest?

Bracke: Ein Stück weit klingen die Gespräch schon nach. Aber nicht als Beschwernis, oder so, dass es mir auf den Schultern liegt. Das ein oder andere Gespräch trägt man noch ein bisschen im Herzen, und dann verklingt es langsam wieder, wenn ich selber im Kreis meiner Familie bin, wenn ich mit meiner Familie zusammen bin in den Weihnachtstagen. Ein bisschen gebe ich dann auch nach oben ab. Wir feiern ja Weihnachten. Und Gott ist da, damit wir nicht alles selber tragen müssen. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR