Literaturwissenschaftler lobt religiöse Motive in Elvis' Musik

"Rock 'n' Roll aus Gospel-Musik"

Elvis Presley, der King of Rock 'n' Roll, wäre am Mittwoch 90 Jahre alt geworden. Er galt als sehr religiös geprägt und verband in seinen Songs religiöse mit politischen Botschaften. Seine Inspiration fand er in spirituellen Liedern.

Autor/in:
Tobias Fricke
Elvis Presley  / © N.N. (dpa)
Elvis Presley / © N.N. ( dpa )

DOMRADIO.DE Als Kind besuchte Elvis Presley mit seinen Eltern regelmäßig die Kirche "Assemblies of God". Die Presleys waren Baptisten?

Prof. Dr. Heinrich Detering (Literaturwissenschaftler und Diakon): Ja, sie gehörten zur baptistischen Gemeinde. Diese Herkunft aus dieser spezifischen Religiosität der Southern Baptists war für Elvis sicher sehr wichtig. Wichtiger noch, glaube ich, war für ihn der enge Zusammenhang zwischen dieser Form von christlichem Glauben und Musikalität, dem gemeinsamen Singen. 

Dort, wo Elvis aufgewachsen war, in den Armenvierteln von Memphis, hatte er einen ganz entscheidenden Zugang zu den schwarzen Gemeinden, zu denen er, wie uns aus vielen Quellen glaubhaft berichtet wird, mehr oder weniger heimlich gelaufen ist. Er war in den weißen Gottesdienst, und ist dann zu den Kirchen der schwarzen Gemeinden gelaufen und zu privaten Versammlungen. 

Zum Beispiel bei einem Kaufmann namens Ulysses S. Mayhorn, bei dem zu Hause solche Treffen stattfanden und musiziert wurde. "Shake, Rattle and Roll", das hat er zum Ersten Mal dort erlebt, und das sind vielleicht die wichtigsten zugleich religiösen und musikalischen Prägungen für den Jungen Presley gewesen.

Heinrich Detering

"Die intensiven musikalischen Erlebnisse, die Elvis vermitteln wollte, waren religiös geprägt."

DOMRADIO.DE Das heißt, dass er vermutlich dort mit dem Gospel in Kontakt gekommen ist, die er auch später gesungen hat?

Detering: Dort und in der Blues Musik. Als er 1968 am vielleicht wichtigsten Wendepunkt seiner Karriere seine Comeback-Show produzierte, die dann zu Weihnachten 1968 im Fernsehen ausgestrahlt wurde - da hat er die Musik unterbrochen, um zu seinen Mitspielern und in die Kamera zu sagen: Das, was ihr Rock 'n' Roll nennt, was wir hier machen, das ist im Grundsatz zugleich Gospel und Rhythm und Blues. 

DOMRADIO.DE Es gibt ein Lied "Crying in the Chapel" mit direkt religiösen Bezügen. Da kommt die Kapelle sogar im Titel vor, oder "Miracle of the Rosary", das Wunder des Rosenkranzes. Glauben Sie, dass er in diesen Momenten wirklich eine tiefere spirituelle Bedeutung vermitteln wollte? 

Detering: Ich glaube, dass die intensiven musikalischen Erlebnisse, die Elvis auch seinem Publikum vermitteln wollte, religiös geprägte Erlebnisse waren. Es gibt sehr eindrucksvolle Konzertaufnahmen, zum Beispiel in dem Dokumentarfilm "Elvis on Tour" aus dem Jahr 1973, wo man sieht, wie Elvis von der Bühne zur Seite tritt, um einem Gospelquartett die Bühne zu überlassen und dann fast in Trance, mit geschlossenen Augen, mit Lippenbewegungen stumm mitsingt. 

Und es gibt Aufnahmen, wie er in den Garderoben, anschließend mit denselben Musikern, um sich zu entspannen, um, wie er selber sagt, zu innerer Ruhe zu kommen, weiter Gospels singt. Das haben sie offenbar jeden Abend stundenlang gemacht. 

Heinrich Detering

"Es wäre unnütz Elvis irgendwie konfessionell festlegen zu wollen."

Wenn in den Home Recordings, die auch eher zufällig erhalten sind, Elvis sich zu Hause ans Klavier setzt und singt und spielt, dann kommt immer wieder Gospel vor. Das ist für ihn schon, glaube ich, etwas gewesen, das er für sich sehr wichtig fand und das er seinem Publikum vermitteln wollte. Er hat ja auch eine Reihe von reinen Gospel-Alben gemacht. 

DOMRADIO.DE Im Zusammenhang mit Elvis' Religiosität gab es häufig Diskussionen über seine Zugehörigkeit zu verschiedenen religiösen Traditionen. War er reiner Baptist oder kam da vieles zusammen?

Detering: Ich glaube, dass es ganz unnütz wäre, Elvis irgendwie konfessionell festlegen zu wollen. Seine Religiosität ist sehr innig, sehr emotional, sehr musikalisch, sehr interracial geprägt, wie man es amerikanisch nennen würde, mit schwarz und weiß. Und das ist für ihn auch ein wesentliches Medium, um die Rassentrennung der Südstaaten zumindest im Medium der Musik zu überwinden. 

Und dabei ist ihm alles recht, was musikalisch intensive Erlebnisse und Eindrücke vermitteln kann. Entscheidend ist für ihn, dass man sich im Medium des Glaubens, das zugleich Musik für ihn ist, zusammenfindet und solche Grenzen keine Rolle mehr spielen. 

 Ein Archivfoto aus dem Jahr 1973 zeigt Elvis Presley bei einem Konzert auf der Bühne.  / © Anonymous (dpa)
Ein Archivfoto aus dem Jahr 1973 zeigt Elvis Presley bei einem Konzert auf der Bühne. / © Anonymous ( dpa )

DOMRADIO.DE Wie könnte seine Spiritualität denn in der heutigen Zeit wahrgenommen werden, besonders von jungen Menschen, die mit seinem Erbe wenig vertraut sind? 

Detering: Ich glaube, dass es sehr leicht ist, einen Zugang zu Glaubenserfahrung zu gewinnen, wenn man einigen - nicht allen, denn es gibt auch einiges, das furchtbar kitschig ist - Elvis-Aufnahmen zuhört. Da ist das unmittelbare Erleben Gottes in den Wundern der Schöpfung, das Zusammensein, das Zusammensingen, wo die Grenzen zwischen Rassen, Klassen, Altersgruppen verschmelzen. 

Es ist diese Vorstellung, dass mit Hilfe des Gospels auch politische Grenzen überwunden werden können. Und das scheint mir etwas zu sein, was nicht nur in Amerika heute eine besondere Rolle spielt. Das ist sicher auch ein Punkt, an dem man heute, wenn man sich für politische, gesellschaftliche Umwälzungen interessiert, einen neuen und frischen Zugang zu Elvis gewinnen kann.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR