DOMRADIO.DE: Verschiedene Aktionsbündnisse haben im Vorfeld zu Protesten aufgerufen, mit dem Ziel, den Parteitag zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Die Organisatoren rechnen mit 10.000 Demonstrantinnen und Demonstranten. Sie sind Vorstandsvorsitzender des Vereins "Buntes Meißen - Bündnis Zivilcourage". Warum machen Sie als Kirchenvertreter bei den Protesten mit?
Bernd Oehler (Evangelischer Pfarrer aus Meißen): Wir gehen davon aus, dass es notwendig ist, dass sich eine vernehmlich zivilgesellschaftliche Stimme gegen die Selbstverständlichkeiten, die die AfD etabliert, hörbar machen muss. Das sind Werte, die wir als Christen nicht vertreten können.
DOMRADIO.DE: Den Parteitag einer demokratisch gewählten Partei zu verhindern, klingt nicht gerade demokratisch.
Oehler: Das "Bunte Meißen" ist kein Teil der Verhinderungsstrategie. Wir sind bei der Demonstration zugegen, haben einen Stand, werden dort eine Rede halten. Aber wir sind kein Teil der Aktion "Widersetzen".
DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie zu der Aktion "Widersetzen"?
Oehler: Ich kann es sehr gut verstehen, dass man sich der Wirksamkeit und der Wirklichkeit, die die AfD in unseren bundesdeutschen Alltag hineingebracht hat, widersetzen möchte. Das möchte ich mit Worten auch gerne tun. Einen Parteitag zu verhindern ist ein Grenzgebiet, wo andere Menschen andere Erkenntnisse haben. Davon bin ich nicht Teil.
DOMRADIO.DE: Ihnen geht es also um die Kundgebungen, um Aktionen, Livemusik?
Oehler: Richtig.
DOMRADIO.DE: Treffpunkt ist 6:30 Uhr. Zu dieser Zeit sind noch Minusgrade vorhergesagt. Es gibt Busse, die zu den Kundgebungsorten fahren. Parkplätze und Straßen sind gesperrt. Das Ganze ist eine logistische Herausforderung. Wie gut sind Sie vorbereitet?
Oehler: Der Protest ist von sehr vielen Leuten von langer Hand geplant worden. Ich denke, dass wir hinreichend gut vorbereitet sind. Wir haben warme Kleidung und den guten Willen friedlicher Menschen, um zu verhindern, dass unsere Gesellschaft in die Menschenfeindlichkeit abstürzt.
DOMRADIO.DE: Die AfD hält zum dritten Mal einen Parteitag in Riesa. Es heißt, dass die Partei damit Proteste wie bei dem Parteitag in Essen vorbeugen wolle. Die Kleinstadt liegt zwischen Leipzig und Dresden und ist schon lange die Heimatstadt der Partei NPD, die sich mittlerweile in 'Die Heimat' umbenannt hat. Sie selbst engagieren sich seit Jahren ehrenamtlich unter anderem für die Stolpersteine und kennen den Gegenwind, den das auslösen kann. Machen Sie sich Sorgen, dass rechte Gewalt gegebenenfalls ein Thema sein könnte?
Oehler: Da mache ich mir Sorgen und es gibt Menschen, die sich darum viele Sorgen machen. Wir haben Menschen, die sich in dieser Zeit hinsetzen und dafür beten, dass es keine gewaltsamen Auseinandersetzungen gibt. Wir hoffen, dass wir menschlich miteinander und politisch exakt miteinander umgehen können. Allerdings haben wir seit dem Auftreten der AfD einen Verfall der moralischen Sitten in unserem Land, der bestürzend ist.
DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich von diesem Protest am Samstag?
Oehler: Dass wir uns selbstbewusst der AfD entgegenstellen. Dass wir für die Werte einstehen, die uns wesentlich sind. Dass wir die Menschenwürde verteidigen, Nächstenliebe praktizieren und den Zusammenhalt fördern. Dass wir das deutlich etablieren und deutlich machen, dass wir das Deutschland, was die AfD im Sinn hat, nicht haben wollen. Wir wollen keine verdeckten Verbindungen in die russische Szene und auch keine verdeckten Verbindungen nach China. Wir wollen einen offenen, menschenfreundlichen Prozess und dementsprechend eine Zivilgesellschaft, die sich ihres eigenen Wertes und dem Wert der Demokratie bewusst ist.
DOMRADIO.DE: 20 Prozent in Sachsen sind evangelisch, 5 Prozent katholisch. Sie arbeiten in einem Diasporagebiet. Wie offen kann man im Religionsunterricht Kritik an der AfD äußern?
Oehler: Der Religionsunterricht läuft grundsätzlich unter dem Überwältigungsverbot. Ich kann also nicht sagen: Ihr müsst dies oder jenes glauben. Ich lade die Kinder und Jugendlichen ein, das Denken und das Lernen zu lernen. Ich hatte lange Jahre auch in Riesa unterrichtet und in der Nähe bin ich immer noch unterwegs. Die Vorprägung der jungen Menschen durch die NPD und ihr Jugendwerk und jetzt nun auch durch die AfD, ist beträchtlich. Eine kluge Bürgermeisterin hat auch schon mit einer Straßennennung ein Zeichen dagegen gesetzt. Wir können bloß mit Beharrlichkeit und Menschenfreundlichkeit deutlich machen, dass die menschenunfreundliche Art und Weise mit Flüchtlingen umzugehen, wie die AfD das fordert, nicht unsere Werte sind. Das wird dem etwas entgegensetzen.
Das Interview führte Tobias Fricke.