Über seinen christlichen Glauben redet Markus Söder (CSU) so offensiv wie kein anderer bayerischer Ministerpräsident zuvor. "Beten gehört für mich zum normalen Tagesablauf dazu", bekennt er. Weisheit, Kraft und Gelassenheit wünsche er sich, doch: "Ich bitte nie um ein bestimmtes Ergebnis, sondern lege die Entscheidung in die Hände Gottes."
Zweimal hat der Protestant schon Papst Franziskus besucht. Als dessen Vorgänger Benedikt XVI. starb, charterte Söder eine Sondermaschine, um mit einer bayerischen Delegation an der Begräbnisfeier teilzunehmen.

Beim Nürnberger CSU-Parteitag zog er vergangenes Wochenende andere Saiten auf. "Bayern steht zu den Kirchen wie kaum ein anderes Bundesland", hob er an. Er, Söder, trete für Kreuze in der Öffentlichkeit ein, er habe sich gegen Stundenkürzungen beim Religionsunterricht ausgesprochen. Dann aber packte der Ministerpräsident die Keule aus und deutete an, dass der Staat für die Gehälter von Kirchenleuten aufkomme. Was sehr danach klang: Wer zahlt, schafft an. Hatte aber Söder nicht bis in die jüngste Vergangenheit hinein eine Ablösung der Staatsleistungen vehement abgelehnt? Was war da passiert?
Offenkundig musste sich der CSU-Chef Luft machen, weil ihm die deutliche Kritik kirchlicher Spitzenvertreter in Berlin am migrationspolitischen Kurs der Union missfallen hatte. Damit war er zumindest im katholischen Bayern nicht allein. Auch Bischöfe wie Rudolf Voderholzer in Regensburg und Gregor Maria Hanke in Eichstätt waren von dem Kirchenpapier öffentlich abgerückt.
Schlagabtausch zum Kreuzerlass
Rückblick: Kurz nach seinem Amtsantritt als bayerischer Regierungschef 2018 veranlasste Söder, in allen Landesbehörden Kreuze aufzuhängen. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx warf ihm daraufhin vor, "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ ausgelöst zu haben. "Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden."

Später fanden die beiden wieder zueinander. Beim Jahresempfang der Erzdiözese München und Freising 2023 ermutigte Söder die Christen, "offensiver, mutiger und bekennender aufzutreten". Es wäre falsch, sich in Zeiten hoher Kirchenaustritte zurückzuziehen. Beim Nürnberger Parteitag ergänzte Söder unter Applaus der Delegierten: Mehr Einsatz für den Lebensschutz sollten die Kirchen bringen. Subtext: Für Christen sei dieses Thema wichtiger als die Migration.
Einer, der dieser Tage die CSU verlassen hat, ist der 71-jährige Hermann Imhof. 15 Jahre lang saß der frühere Nürnberger Caritasdirektor und Sozialpolitiker für die Partei im Landtag. Die Zustimmung der AfD für Anträge in Kauf zu nehmen, sei für ihn ein Tabubruch gewesen, erläuterte er seinen Schritt. Und empörte sich zugleich darüber, dass seit Monaten eine "nicht differenzierte, unseriöse Migrationsdebatte" geführt werde.
Über die Kirche zur Partei
Imhof steht beispielhaft für jene, die über die Kirche ihren Weg zur Partei gefunden haben. In der Vergangenheit waren vor allem die katholischen Verbände eine wichtige personelle Ressource der CSU. Beispiel Alois Glück (1940-2024): Der frühere Fraktionsvorsitzende und spätere Landtagspräsident wurde in der Katholischen Landjugend-Bewegung politisch sozialisiert. Söders Aufstieg begleitete er aus kritischer Distanz.

Dennoch ließ sich Glück von ihm ein letztes Mal in seiner Paraderolle als Vermittler in die Pflicht nehmen: als Moderator eines runden Tisches nach dem erfolgreichen "Rettet die Bienen"-Volksbegehren 2019. Bei Glücks Trauerfeier bekannte Söder, er hätte früher auf ihn hören sollen und sich so viel Ärger erspart.
Doch Glück ist tot und kann nicht mehr vermitteln. Genauso die aus Würzburg stammende Sozialpolitikerin Barbara Stamm (1944-2022). Die Katholikin scheute sich nicht, ihrer Partei gerade auch beim Flüchtlingsthema zu widersprechen. Stamm erlebte als Sozialministerin ihrerseits eine große Enttäuschung mit der katholischen Kirche, als es kurz vor der Jahrtausendwende um deren Verbleib in der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung ging. Die Staatsregierung kämpfte um eine Zukunft für die mehrheitlich von kirchlichen Verbänden getragenen Beratungsstellen. Doch der Papst verordnete das Aus.
Warnung vor "Nachäffen"
So wie Glück war auch Hans Maier der katholischen Kirche verbunden. Beide CSU-Spitzenpolitiker waren Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Maier, der im Juni 94 Jahre alt wird, kritisierte vor über zehn Jahren scharf seine Partei für ihre Position in der Flüchtlingspolitik; vor allem aber warnte er vor einem "Nachäffen" der AfD.

Vielleicht ist es an der Zeit, an die Wurzeln der christlichen, aber überkonfessionellen Unionsparteien zu erinnern. Deren Gründung hat Söders Vorvorgänger als Ministerpräsident, Günther Beckstein, einmal als die erste große ökumenische Tat nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gewürdigt.
Schon vor 1945 führte darüber der später von den Nazis ermordete Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer Gespräche in Kloster Ettal mit einem der späteren CSU-Mitgründer, Josef Müller, genannt Ochsensepp. "Ich bin überzeugt, Bonhoeffer wäre Gründungsmitglied der CSU geworden", sagte Beckstein. "Ich weiß aber nicht, wie lange er geblieben wäre."