Evangelischer Bischof Stäblein appelliert zu Kompromissfindung

Versöhnung nach Wahlkampf

Die Union gewinnt, die AfD triumphiert, die SPD liegt am Boden. So das gestrige Wahlergebnis in Kürze. Der evangelische Hauptstadtbischof Christian Stäblein ordnet die Wahlentscheidungen ein, äußert Sorgen und Handlungsaufträge.

Autor/in:
Tobias Fricke
Christian Stäblein, Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz / © Christian Ditsch (epd)
Christian Stäblein, Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz / © Christian Ditsch ( (Link ist extern)epd )

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns bitte etwas Positives voranstellen: die Wahlbeteiligung.

Bischof Christian Stäblein (Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz): Ja, die Wahlbeteiligung ist erfreulich hoch. Das ist ein gutes Zeichen für unsere Demokratie. Das zeigt auch, dass die Polarisierung, die im Wahlkampf stattgefunden hat, am Ende ihre Wirkung gehabt hat, insofern sie Menschen mobilisiert hat. Ich fange auch gerne mit dem Positivem an: Wir freuen uns darüber, dass es wieder deutlich über 80 Prozent sind. Die Menschen sehen, Demokratie heißt Beteiligung und Wahltag ist der Tag der Beteiligung.

DOMRADIO.DE: Die knapp 20 Prozent, die die AfD eingeholt hat, kamen nicht überraschend. Trotzdem müssen wir feststellen, dass jeder Fünfte der Wählerinnen und Wähler rechtsextrem wählt. In Ostdeutschland ist es deutlich krasser. Wenn Sie als Bischof und Seelsorger darauf blicken: Wie kann man diese Menschen davon überzeugen, anders zu wählen? Was braucht es in Deutschland?

Stäblein: Es braucht auf jeden Fall das, was wir von der evangelischen Kirche in Deutschland Verständigungsorte nennen. Wir müssen unbedingt viel mehr hinhören und im Gespräch sein. Aber – das sage ich jetzt gleich dazu – die Aufgabe der evangelischen Kirche ist auch, eine Botschaft weiterzugeben.

Das ist die Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes, von dem Achten der Menschenwürde gegenüber jedem und jeder. Das gilt für alle. Das bleibt dann aber auch eine klare Position. Hinhören, ins Gespräch kommen und schauen, welche Fragen und Sorgen drücken so, dass es zu dieser Wahlentscheidung kommt und was muss anders werden? Das kann nicht auf der anderen Seite dazu führen, dass wir als Kirche unsere Botschaft verkaufen oder verraten.

Christian Stäblein

"Wir suchen ja das Miteinander, am Ende auch die Mitte und einen Ausgleich."

DOMRADIO.DE: Jetzt war das ein hitziger, kurzer Wahlkampf, wie wir ihn bislang selten erlebt haben. Lassen Sie uns über Versöhnung sprechen. Wie können sich die Parteien, die sich bis gestern noch erbittert bekämpft und beschimpft haben, ab morgen oder heute vielleicht schon an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Regierung bilden?

Stäblein: Das Wesen der Demokratie ist, hinterher zu einer Kompromisssuche und Kompromissbildung in der Lage zu sein. Ein Problem, das wir heute in der Gesellschaft haben, ist, dass jeder Kompromiss immer schon als faul erlebt wird. Das ist aber eigentlich nicht richtig, sondern wir suchen ja das Miteinander, am Ende auch die Mitte und einen Ausgleich.

Erst mal glaube ich schon, dass es zum Wahlkampf auch dazugehört, stärker zu profilieren und zu polarisieren und es in der Regel so sein soll, dass am Tag danach oder in den Wochen danach die Parteien auch wieder in eine gute Verständigung kommen. Ich will aber an dieser Stelle auch daran erinnern: Wir tun das ja inmitten einer Weltlage, die nun wirklich so herausfordernd ist, dass alle dazu aufgerufen sind, jetzt schnell zu einer handlungsfähigen Regierung zu kommen.

Denn die Welt um uns herum verändert uns so, dass wir eigentlich nicht mehr in einem Zeiten-, sondern in einem Epochenwechsel sind und da wird dieses Land auch gebraucht. Deswegen rufe ich dazu auf, dass politisch Denkenden und Handelnden jetzt schnell in die Verantwortung gehen.

DOMRADIO.DE: Migration war ein bestimmendes Thema des Wahlkampfes, das sehr emotional geführt worden. Sie sind in der Evangelischen Kirche in Deutschland für Flüchtlingsfragen zuständig. Vor zwei Wochen hatte die Union noch einen Fünf-Punkte-Plan zur Asyl- und Migrationspolitik eingebracht. Sorgen Sie sich, dass Deutschland sich künftig abschottet? Was ist da Ihr Appell an die künftige Bundesregierung?

Symbolbild: Migranten gehen über das Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild: Migranten gehen über das Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber / © Patrick Pleul ( (Link ist extern)dpa )

Stäblein: Ich sorge mich schon sehr, dass wir immer mehr auch in eine Sprache kommen, die die Würde von allen Menschen nicht mehr in gleicher Weise achtet. Das macht unser Land ja aus. Man gucke nur ins Grundgesetz und den Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Natürlich sind wir auch an dieser Stelle in einer sehr herausfordernden Situation. Das ist gar keine Frage. Aber es ist unsere Aufgabe, das Land selbst an seine Tradition, an seine Aufgabe und das heißt Würde und Achtsamkeit immer wieder zu erinnern.

In dieser Hinsicht ist es sehr erschreckend, dass wir gerade hier auch in Ostdeutschland ein Ergebnis einer zu Teilen rechtsextremistischen Partei haben, die weit über 30, 35 bis zu 40 Prozent der Stimmen eingefahren hat. Ich möchte hier einmal auch auf die Stellungnahme des Zentralrats der Juden schon von gestern hinweisen. Das ist erschreckend und ist für uns alle eine Aufgabe, an dieser Stelle nach Verständigung und Politik zu sorgen, die die Würde der Menschen achtet.

DOMRADIO.DE: Heute ist auch der dritte Jahrestag des Ukrainekrieges. Sie werden heute Abend einen Gedenkgottesdienst in der Garnisonkirche in Potsdam feiern. Was wünschen Sie sich von der künftigen Bundesregierung beim Thema Ukraine?

Christian Stäblein

"Suche Frieden und jage ihm nach."

Stäblein: Auch da müssen wir deutlich sagen, die Welt verändert sich so schnell und jetzt auch radikal durch das, was wir in Amerika erleben. Wir gucken möglicherweise zu, wie sich Großmächte die Welt neu aufteilen. An dieser Stelle wird es darauf ankommen, jetzt deutlich zu machen, was es heißt, die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zu verraten.

Es kommt darauf an, weiter an ihrer Seite zu stehen, mit ihnen nach Frieden zu suchen, nach dem sie sich auch sehnen, aber doch ein Frieden, der kein Diktat, kein Friedhofsfrieden, kein Sieg des Aggressors sein kann, sondern ein Frieden, der auf Miteinander und Verständigung setzt. Das erhoffe ich und werde heute Abend über das alte Psalmwort predigen: Suche Frieden und jage ihm nach.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Vorläufiges Ergebnis der Bundestagswahl 2025

Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hat die Bundestagswahl gewonnen - mit großem Abstand vor der zweitplatzierten AfD und der SPD, die auf ein historisches Tief stürzt. Das geht aus dem vorläufigen Ergebnis der Bundeswahlleiterin in der Wahlnacht hervor. BSW und FDP scheitern demnach an der Fünf-Prozent-Hürde und verpassen den Einzug ins Parlament. 

Stimmzettel der Briefwahl für die Bundestagswahl werden ausgezählt. / © Bernd Weißbrod (dpa)
Stimmzettel der Briefwahl für die Bundestagswahl werden ausgezählt. / © Bernd Weißbrod ( (Link ist extern)dpa )
Quelle:
DR

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