Beide sprachen bei einem Podium in der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" des Bistums Essen in Mülheim an der Ruhr. Thierse sagte, zwar signalisiere in Deutschland eine große Mehrheit von 70 bis 80 Prozent, dass sie ihre Erwartungen in den Schutzauftrag des Staates erfüllt sieht. Doch eine wachsende Minderheit von Kritikern und Verschwörungstheoretiker redeten von einer ganz anderen Realität - und das mit einer Entschlossenheit, die keine Auseinandersetzung demokratischer Art mehr zulasse.
Nach den Worten von Thierse hat diese Entwicklung mit dem Internet zu tun, das zu einem "Echoraum der eigenen Vorurteile" geworden sei. Die Sozialen Netzwerke seien nicht nur ein Gewinn für die Demokratie, sondern stellten inzwischen ein "außerordentliches Gefährdungspotenzial für elementare Gemeinsamkeiten" dar, wovon die Demokratie aber lebe. Krisenzeiten wie die Pandemie seien offenbar Zeiten für "Vereinfacher und Schuldzuweiser". Ihnen müssten Christen widersprechen, sagte der Politiker.
"Gefahr von rechts innerhalb der Kirche abwehren"
Auch Overbeck bedauerte, dass bei einem Teil der Menschen das Vertrauen in die Demokratie weggebrochen sei. Denn Vertrauen sei eine tragende Voraussetzung für das demokratische Gemeinwesen.
Mit deutlichen Worten distanzierte sich der Ruhrbischof erneut von dem Corona-Aufruf, den der italienische Erzbischof Carlo Maria Vigano verfasst und den der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller mitunterzeichnet hat. Darin wird vor einer Weltregierung gewarnt, die sich jeder Kontrolle entziehe und die Grundfreiheiten einschränke.
Overbeck zeigte sich verwundert, dass so hochrangige Kirchenvertreter diese Position vertreten. "Diese Gefahr von rechts innerhalb der Kirche" müsse man abwehren. Sonst drohe die Kirche auf Dauer eine Sekte zu werden.
"Demokratie robust und belastbar"
Der Politologe Hans Vorländer führte aus, dass sich in der Pandemie die Demokratie in Deutschland als robust und belastbar erwiesen habe. Doch allmählich würden wieder die Verwerfungen sichtbar, die auch schon vor der Corona-Krise existiert hätten.
Nach einer Phase des Innehaltens würden die Ränder wieder turbulent. Ein Teil der Bürger sei leicht mobilisierbar und lasse sich von Stimmungen leiten, sagte der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität Dresden mit Blick auf die Corona-Demonstrationen. Die dabei zum Ausdruck kommende Aggressivität sowie der Vertrauensverlust schädigten Gesellschaft und Demokratie.