DOMRADIO.DE: Braucht es unterschiedliche Regeln für unterschiedliche Länder, oder kann man sagen, dass das Klosterleben in jedem Land gleich aussieht?
Abt Jeremias Schröder OSB (Abtprimas der Benediktiner): Wir Benediktiner sind fast schon berühmt dafür, dass unsere Klöster sehr unterschiedlich sind. Das ist, selbst in der Regel des heiligen Benedikts angelegt. Darin heißt es immer wieder, dass man Dinge so, aber auch anders regeln kann. Das ist meiner Meinung nach die Stärke unseres Ordens. Wir haben eine sehr alte Erfahrung damit, wie man versöhnte Verschiedenheit leben kann.
Unterschiedlichkeit ist nicht nur zugelassen, sie wird sogar bejaht, weil man sich immer auf ein anderes Umfeld, auf andere Gegebenheiten einstellen muss. Überall herrschen andere Aufgaben, auch eine andere Geschichte und gleichzeitig ein Bewusstsein: "Wir sind eine Familie. Wir gehören zusammen. Wir haben ein gemeinsames Erbe, das wir gemeinsam vertreten und voranbringen".
DOMRADIO.DE: Können Sie das konkret machen? Was unterscheidet zum Beispiel eine Klostergemeinschaft in Deutschland von einer in Kenia?
Abt Jeremias: Die Unterschiede sind ganz interessant in den Tätigkeitsbereichen. Wir haben riesige Abteien in den USA, die ganze Universitäten betreiben. Wir haben Klöster in Frankreich, die in großer Abgeschiedenheit sehr kontemplativ leben, wo es kaum ein paar Gäste oder nach außen gerichteten Aktivitäten gibt.
Zwischen Deutschland und Afrika fällt mir oft auf, dass die Autorität anders gelebt wird. Wir sind bei uns in Deutschland ziemlich bürokratisiert und somit auch strukturiert. In Afrika sind einheimische Autoritätsmodelle viel deutlicher spürbar. In mancher Hinsicht ist der Abt auch so was wie ein Dorfoberhaupt, der relativ viel entscheiden kann. Er hat eine relativ starke Autorität und gleichzeitig ist er an das Palaver - der lange nicht sehr strukturierte Prozesse des Ausverhandelns von Dingen - zurückgebunden. Das ist oft anders als bei uns, aber darin steckt auch der Reichtum.
DOMRADIO.DE: Das merken Sie auch hier im Haus. Sie haben Mitbrüder aus den verschiedensten Ländern, die zusammenkommen. Ich könnte mir vorstellen, dass es alleine schon von den Mentalitäten Konflikte geben kann. Ist das so?
Abt Jeremias: Ich habe das so bisher kaum bemerkt. Ich bin eigentlich auch noch neu im Haus. Ich habe vor 40 Jahren hier selbst studiert. Damals sind wir immer wieder mit interessanten Dingen aneinandergestoßen.
Damals hatten wir ein spannendes Thema mit unseren koreanischen Mitbrüdern. Die waren nicht zufrieden mit der hiesigen Küche. Sie haben dann auf ihrem Zimmer sehr geruchsintensiv gekocht. Das hat manchmal kleine Spannungen erzeugt. Das ist momentan kein Thema hier.
Was bei Benediktinern immer spannend ist, sind die liturgischen Sensibilitäten. Wir kommen alle aus Klöstern, die Liturgie sehr ernst nehmen, aber wir haben auch sehr unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen. Hier dürfen wir gemeinsam feiern. Das muss deswegen ausverhandelt werden. Wir brauchen da einen gemeinsamen Stil, der für alle gut nachvollziehbar ist und wo jeder "mitgehen" kann. Dort kann nicht jeder seine eigenen persönlichen Frömmigkeitsvorstellungen zu 100 Prozent wiederfinden.
DOMRADIO.DE: Da sind wir quasi schon beim Begriff der Synodalität. Ich habe den Eindruck, dass das in den letzten Jahren ein Modebegriff der Kirche geworden ist. Viele sprechen davon, dass wir in einem Lernprozess stecken. Als Weltkirche könnte man eigentlich sagen, dass die Benediktiner der katholischen Weltkirche etwas voraushaben. Oder?
Abt Jeremias: Wir haben sicher diese Erfahrung, dass wir keine Homogenität brauchen. Wir brauchen keine Einförmigkeit. Wir brauchen auch nicht diesen gemeinsamen Nenner, den Sie am Anfang genannt haben. Papst Franziskus hat das einmal sehr schön formuliert: 2015, am Ende der Familiensynode. Damals gab es viele Spannungen. Der Papst sagte dann in einer improvisierten Ansprache zu den Synodenteilnehmern, dass nicht alles, was hier getan und gesagt wurde, immer von gutem Willen geprägt war. Er sagte, dass wir uns vor der Sünde und den Fehlern des älteren Bruders hüten müssten. Er bezog sich damit auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn, wo der ältere Bruder es nicht erträgt, dass seinem jüngeren Bruder so viel gegeben und geschenkt wird.
Papst Franziskus sagt, dass wir das Prinzip der Inkulturation ernst nehmen müssen. Kirche muss an ihrem jeweiligen Ort die richtigen Antworten auf die Herausforderungen vor Ort finden. Wir dürfen nicht immer neidisch über den Zaun schauen, wie sie das anderswo machen. Wir sollten uns auch nicht einreden, dass die anderen alles falsch machen oder sich zu viel erlauben.
Es gibt Dinge, die mögen in einem Kontext angemessen sein, in einem anderen Kontext aber nicht. Diese Vielfalt zuzulassen ist sicher etwas, was wir Benediktiner im Laufe der Jahrhunderte gelernt haben. Das ist tatsächlich schon in den Regeln des heiligen Benedikts angelegt. Er sagt, dass der Abt nicht alle gleich behandeln muss. Er müsse die Mönche nach ihren Bedürfnissen behandeln.
DOMRADIO.DE: Das wäre auch ein Lerneffekt für das, was im Nachgang der Synode auf uns zukommt, wenn dieses Dokument weltweit rezipiert wird. Würden sie sagen, dass dieses Dokument nicht überall gleich behandelt werden muss?
Abt Jeremias: Ich bin gespannt. Eine Frage wird sicher sein welche Zuständigkeiten, welche Kompetenzen vielleicht weiter nach unten in die Region hinein verlagert werden können, ohne dass wir die Weltkirche gefährden, weil wir eine Weltkirche bleiben wollen, die viel gemeinsam hat. Da ist das Petrusamt gefordert, uns zusammenzuhalten, aber gleichzeitig auch Evangelisierung und kirchliches Leben vor Ort zu ermöglichen und fruchtbar zu machen. Zumindest so gut es irgend geht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.