Als der Vatikan die Papstresidenz für Geflüchtete öffnete

"Es war für uns selbstverständlich"

Vor 80 Jahren wurde die päpstliche Sommerresidenz bombardiert. Darüber informiert die Ausstellung "Castel Gandolfo 1944", die seit Februar in der Sommerresidenz zu sehen ist. Vatikankenner Ulrich Nersinger erklärt die Hintergründe.

Ungewohnte Einblicke: Die Papstwohnung in Castel Gandolfo wurde geöffnet - hier das Schlafzimmer des Papstes / © Alessandro Di Meo (dpa)
Ungewohnte Einblicke: Die Papstwohnung in Castel Gandolfo wurde geöffnet - hier das Schlafzimmer des Papstes / © Alessandro Di Meo ( dpa )

DOMRADIO.DE: Castel Gandolfo liegt 25 Kilometer südöstlich von Rom. Der Apostolische Palast mit seinen Gärten, imposanten Landhäusern und der weltweit bekannten Sternwarte des Papstes ist wunderschön. Wie konnte es sein, dass dieser beschauliche Ort damals ein Ort des Todes und des Schreckens wurde? 

Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Die päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo war ein Paradiesgarten, ein Eden für die ganze Bevölkerung. Der Papst hatte 1943, als die deutsche Besatzung von Rom geschah, zunächst noch etwas verhalten, eine Residenz für Flüchtlinge geöffnet.

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Als die Gefahr durch die SS und die Wehrmacht größer wurde, hat er angeordnet, dass man die päpstliche Residenz ganz für Flüchtlinge öffnet. 

Das war vor allem im Januar des Jahres 1944 wichtig. Denn da begann die Landung der Alliierten und Bombenangriffe ganz in der Nähe von Castel Gandolfo.

Der Papst hat angeordnet, dass die päpstliche Residenz für alle Flüchtlinge ohne Unterschiede geöffnet wird. 

Gewaltige Menschenansammlungen bewegten sich dorthin. Man spricht von 12.000 bis 15.000 Leute, die in diesem großen Gebiet der Sommerresidenz unterkamen. Das Gebiet ist größer als der Vatikanstadt.

DOMRADIO.DE: Die Menschen suchten damals Schutz in Castel Gandolfo. Wie muss man sich deren Leben vorstellen? 

Ulrich Nersinger

"Die Leute fanden dort Zuflucht und waren sich sicher, dass ihnen nichts mehr passieren konnte." 

Nersinger: Es war riskant und schwierig, etwas aufzubauen. Einer der führenden Leute, die mitgeholfen haben, die ganze Logistik zu schaffen, war Monsignore Montini, der spätere Paul VI.

Man hat alles an Lebensmitteln hergeschafft, was man konnte. Es fuhren eigene Wagen mit vatikanischen Nationalitätenkennzeichen durch halb Italien und besorgten Lebensmittel. Es wurden Betten und Decken herbeigeholt. 

Das Schlafzimmer des Papstes wurde zum Beispiel als eine Art Hebammenstation hergerichtet. Dort sind viele Kinder zur Welt gekommen: Das ist eine interessante Sache.

Die Gärten auf dem Gelände der Päpstlichen Villen in Castel Gandolfo am 11. Juni 2016. / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Die Gärten auf dem Gelände der Päpstlichen Villen in Castel Gandolfo am 11. Juni 2016. / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Es wurde gut organisiert. Man hat die päpstliche Palatingarde hingeschickt, die die Menschen schützen sollte. 

Es gab ein Krankenhaus in der Nähe von Castel Gandolfo, das den Bombenabwürfen stark ausgesetzt war. Das hat man mehr oder weniger in die Sommerresidenz verlegt. 

Die Leute fanden dort Zuflucht und waren sich sicher, dass ihnen nichts mehr passieren konnte. 

Ulrich Nersinger

"Es war weder eine Aktion gegen die Besatzer noch gegen die Alliierten."

DOMRADIO.DE: Es war Papst Pius XII., der damals dafür gesorgt hat, dass diese Menschen Zuflucht fanden. Eigentlich war der Vatikan neutral. Wie hat er dieses politische Handeln so hinbekommen? 

Nersinger: Es war weder eine Aktion gegen die Besatzer noch gegen die Alliierten. Er hat versucht, das sehr vorsichtig anzugehen. Man hat zum Beispiel London und Washington informiert, dass das ein exterritoriales Gebiet ist und dem Vatikan gehört. 

Man hat die Dächer in Gelb und Weiß, den Farben des Vatikans, angemalt. Man ist auch bei den deutschen Behörden vorstellig geworden. Interessanterweise haben das alle akzeptiert. 

DOMRADIO.DE: Wie konnte es dann dennoch sein, dass dieses neutrale Gebiet damals bombardiert wurde? Es gab mehr als 500 Tote. 

Ulrich Nersinger

"Es sind Sachen passiert, die eigentlich nicht hätten passieren dürfen."

Nersinger: Das ist bis heute nicht gelöst. Es ist immer noch ein Rätsel. Man hat gesehen, dass das für die Alliierten keine wichtige Sache war. Die Hauptsache war, dass man dort sicheres Terrain für sich erobern konnte. Das hat man früh gemerkt. Deswegen hat man verstärkt versucht vor allem in Washington und in London vorstellig zu werden. 

Man muss bedenken, dass es für die Bomber nicht einfach zu unterscheiden war, wo das vatikanische Territorium und wo das italienische Territorium liegt. Aber es sind Sachen passiert, die eigentlich nicht hätten passieren dürfen. 

Die Geflüchteten waren in der Hoffnung, dass ihnen nichts passieren konnte. Es gab zwei Bombenabwürfe, einer schlimmer als der andere. Der eine passierte bei der Abgabe der Milch für die Säuglinge. Man kann sich vorstellen, was das für ein Drama war. 

Platz vor der Sommerresidenz der Päpste, Castel Gandolfo. / © Elisabeth Hüffer (KNA)
Platz vor der Sommerresidenz der Päpste, Castel Gandolfo. / © Elisabeth Hüffer ( KNA )

Auch die Verschütteten mussten befreit werden. Ich habe vor 20 bis 25 Jahren mal mit einem der Palatingardisten gesprochen, der dort stationiert war. Die haben mit Schaufel und Händen die Verletzten ausgegraben. 

Er hat gesagt, ab einem gewissen Punkt mussten sie Schluss machen, weil sie so geschockt und erledigt waren. Sie haben ihre eigenen Uniformjacken genommen und über die Toten gelegt. Es muss ein dramatisches Geschehen gewesen sein. 

DOMRADIO.DE: Am 10. Februar ist diese Ausstellung eröffnet worden. Warum zeigt man sie erst jetzt, 80 Jahre später? 

Ulrich Nersinger

"Das war doch eine Selbstverständlichkeit, eine humanitäre, christliche Haltung, die normal war." 

Nersinger: Das ist eine Sache, die ich nicht ganz verstehe. Ich verwende das Wort nicht oft, aber in diesen Monaten ist dort Heldenhaftes geschehen. Es war eine unglaublich humane Großleistung des Papstes und des Heiligen Stuhls. 

Die Gärten der Päpstlichen Villen von Castel Gandolfo / © Stefano Dal Pozzolo (KNA)
Die Gärten der Päpstlichen Villen von Castel Gandolfo / © Stefano Dal Pozzolo ( KNA )

Was man dem Vatikan einzig vorwerfen kann, ist, dass er das Gute, das er damals getan hat, nicht publik gemacht hat. 

Viele Angriffe gegen Pius XII. und gegen die Kirche in der damaligen Zeit hätten verhindert werden können.

Man hat Gutes getan, aber wie mir auch jemand sagte, der dort beteiligt war: "Es war für uns selbstverständlich. Wir wollten uns nicht herausstellen. Das war doch eine Selbstverständlichkeit, eine humanitäre, christliche Haltung, die normal war." 

Das Interview führte Carsten Döpp. 

Castel Gandolfo

Die Päpstliche Sommerresidenz oberhalb des Albaner Sees umfasst drei Villen sowie Park- und Gartenanlagen. Die gesamte Anlage gehört zum extraterritorialen Besitz des Heiligen Stuhls.

Mit einer Fläche von 55 Hektar ist sie größer als der Vatikanstaat am Tiber.

Anders als seine Vorgänger verzichtet Papst Franziskus auf Aufenthalte in Castel Gandolfo und hat das Gelände und den Palast stattdessen sukzessive für Touristen geöffnet. (kna)

 

Päpstliche Gärten in Castel Gandolfo / © Stefano dal Pozzolo (KNA)
Päpstliche Gärten in Castel Gandolfo / © Stefano dal Pozzolo ( KNA )
Quelle:
DR