Am 21.3. ist wieder Welt-Down-Syndrom-Tag. Das Datum ist symbolisch, denn bei Menschen mit Down-Syndrom kommt das 21. Chromosom dreifach vor. Einmal im Jahr rücken sie besonders in den Fokus, dabei bekommen sie schon seit geraumer Zeit mediale Aufmerksamkeit: Fernsehreihen wie "Down the road", in der sich der Entertainer Ross Antony auf eine Abenteuerreise mit einer Gruppe junger Menschen mit Down-Syndrom macht, erzählen nicht nur von ihrer Lebensfreude, sondern auch von den ganz normalen Höhen und Tiefen ihres Lebens, von Liebe und Liebeskummer, von Schwierigkeiten und deren Bewältigung.
Wenn der bekannte Fernsehkoch Tim Mälzer mit einer Truppe junger Leute mit Down-Syndrom im Schwarzwald ein Hotel eröffnen möchte, wird deutlich, wozu Menschen mit Down-Syndrom fähig, wo aber auch ihre Grenzen sind. So oder so wird deutlich: Inklusion ist möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Da ist Leben drin. Leben in Fülle – mit allem, was dazu gehört.
Menschen mit Down-Syndrom sind so unterschiedlich, wie Menschen nur unterschiedlich sein können. Manche können zu großer Selbstständigkeit gelangen, andere brauchen mehr Hilfe. Als Vater von zwei mittlerweile erwachsenen Menschen mit Downsyndrom weiß ich, wovon ich rede. Ich möchte keinen Tag missen – und weiß doch, dass manches herausfordernd ist.
Was will die AfD?
Eine der größten Herausforderungen liegt in der Gesellschaft selbst. Zum Welt-Down-Syndrom-Tag werden sicher wieder viele wohlwollende Reden geschwungen – nicht selten mit inklusiver Verve. Ideologische Einseitigkeiten sind dabei immer problematisch. Das gilt sowohl für eine Forderung nach Inklusion, die übersieht, dass diese nur gelingen kann, wenn die Rahmbedingungen stimmen; und es gilt für jene, die genau diese ermöglichenden Rahmenbedingungen als schon unzumutbare Belastung empfinden. Zu Letzteren gehört offenkundig Björn Höcke, der Vorsitzende der AfD-Fraktion des Thüringer Landtages.
Die AfD rühmt sich gerne, die Partei des Schutzes des ungeborenen Lebens zu sein– und findet nicht zuletzt deshalb auch Anklang in christlichen Kreisen. Man kann aber getrost hinterfragen, ob sie auch eine Partei des Schutzes geborenen Lebens ist. Zumindest, was Kinder mit Behinderung angeht, befürwortet die AfD die Rücknahme sämtlicher inklusiver Bemühungen.
Im Sommerinterview des MDR sprach Björn Höcke im vergangenen August unter anderem von der Inklusion als "Belastungsfaktor", von dem man das Bildungssystem "befreien" müsse. Er befand im weiteren Verlauf des Gesprächs sinngemäß nichts anderes, als dass seiner Meinung nach Schülerinnen und Schüler ohne Behinderung durch das gemeinsame Lernen in ihrer Leitungsfähigkeit eingeschränkt werden.
Alle sollen die Wahl haben
Ob die Ansätze schulischer Inklusion in Deutschland wegweisend sind, kann man sicher hinterfragen. Man kann auch hinterfragen, ob eine unkritische Inklusion für alle, die übersieht, dass für manche, vielleicht sogar für viele die Förderschule ein guter Ort ist, sinnvoll ist. In einem freien Land, das die Würde allen Lebens achtet, müssen für alle, die es wollen, die Wege ermöglicht werden, die sie in ihrem Leben gehen wollen. Es gehört zum evolutionären Spezifikum der menschlichen Spezies, dass die Schwächeren gerade nicht zurückgelassen werden sollen. Wo aber Menschen aufgrund einer Eigenschaft, die zu ihrer Persönlichkeit gehört, als Belastung definiert werden, bekommt das Lippenbekenntnis des Lebensschutzes Herpes.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die AfD in Thüringen bei der nächsten Landtagswahl die stärkste Partei wird. Was das für die politische Willensbildung bedeutet, ist ebenso unsicher wie die Frage, ob die meinungsstark verkündeten Brandmauern gegen rechts halten. In Internetforen denken Eltern von Kindern mit Down-Syndrom bereits jetzt offen darüber nach, in diesem Fall aus Thüringen wegzuziehen.
Für ein "Wehret den Anfängen" ist es längst zu spät. Wer für den Schutz des Lebens eintritt, darf damit nicht nach der Geburt aufhören. Alles andere ist nicht aufrichtig! Es ist wohl wieder an der Zeit, aufzustehen. Wer je Menschen mit Down-Syndrom in den Höhen und Tiefen ihres Lebens begleitet hat, wer ihre einzigartigen Persönlichkeiten und willensstarken Charaktere kennengelernt hat, der weiß: Gottes Lebensatem pulsiert auch hier mit einer Kraft, die ihresgleichen sucht. Was für ein Segen!
Dr. Werner Kleine ist Pastoralreferent bei der Citykirche Wuppertal