Amnesty-Bericht beklagt massive Aushöhlung der Menschenrechte

"Die Staatengemeinschaft muss Verantwortung übernehmen"

Hunderte Tote, zahllose Inhaftierte: Die Lage der Menschenrechte weltweit verschlechtert sich nach Einschätzung der Organisation Amnesty International weiter. Einziger Lichtblick: Die Proteste dagegen nehmen zu.

Autor/in:
Anna Mertens
Amnesty: Menschenrechte werden oft nicht gewahrt / © Wong Maye-E/AP (dpa)
Amnesty: Menschenrechte werden oft nicht gewahrt / © Wong Maye-E/AP ( dpa )

Es bleibt ein trauriges Ereignis. Alljährlich präsentiert Amnesty International einen Bericht zur Lage der Menschenrechte in rund 160 Ländern weltweit. Jedes Jahr scheint die Bilanz düsterer als im Jahr zuvor.

Die Zahl der getöteten und inhaftierten Menschenrechtsverteidiger wächst, neue Gesetze beschränken die Rechte der Zivilgesellschaft, religiöse oder ethnische Minderheiten werden bedroht und die internationale Staatengemeinschaft schweigt. Lichtblick, so die Bilanz des Berichts, der weltweit am Donnerstag veröffentlicht wird, sind Menschen, die trotz der widrigen Umstände weiter für ihre Rechte kämpfen - in Russland, Polen oder den USA.

 

 

"Mehr Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger"

"2017 haben die Diffamierungen, Repressalien und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger zugenommen", klagte der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus N. Beeko, bei der Vorstellung in Berlin. Im 70. Jubiläumsjahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte würden die Menschenrechte durch eine Rhetorik der Ausgrenzung mit Füßen getreten.

In 27 Staaten seien im vergangenen Jahr mindestens 312 Menschenrechtsverteidiger getötet worden. Das sei ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2016. Allein in Kolumbien gehen die UN von etwa 100 getöteten Menschenrechtlern aus.

EU-Negativbeispiele: Ungarn und Polen

Dabei zögerte Amnesty-Generalsekretär Beeko eine Rangfolge der Länder mit der schlechtesten Menschenrechtsbilanz aufzustellen. Vielmehr versucht der Bericht exemplarisch an einzelnen Staaten die teils dramatischen Vergehen gegen die Menschenwürde und die Freiheit des Einzelnen zu dokumentieren. Als Negativbeispiele in der EU nannte Beeko Ungarn und Polen. In beiden Ländern griffen neue Gesetze in die Arbeitsmöglichkeiten für Menschenrechtler und die Rechte der Zivilgesellschaft ein.

In der Türkei bedrohten haltlose Festnahmen - darunter der Vorstandsvorsitzende der türkischen Amnesty-Sektion Taner Kilic - Menschenrechtler, Zivilgesellschaft und karitative Organisationen. In der Türkei sitzen rund 100 Journalisten weiterhin im Gefängnis. Erst vergangene Woche war der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel nach einem Jahr aus türkischer Untersuchungshaft entlassen worden.

Einschränkungen der Religionsfreiheit

Doch Journalisten, die Missstände offenlegen, stünden nicht nur in der Türkei, sondern auch in Ländern wie Mexiko, Indien oder Bangladesch unter Druck und müssten an vielen Orten um ihr Leben fürchten, führte Beeko weiter aus. In 28 afrikanischen Staaten habe es Verhaftungen von Journalisten gegeben.

In China und Ägypten würde das Recht auf Religionsfreiheit massiv eingeschränkt, berichtete Beeko. Koptische Christen seien in Ägypten immer wieder das Ziel von tödlichen Attacken, in China gebe es mehr und schärfere Kontrollen von Religionsausübung. Auch in Russland oder dem Iran würden religiöse Minderheiten schikaniert. In Eritrea praktizierten etwa Protestanten heimlich, um nicht ins Gefängnis zu kommen. In Algerien würden 280 Anhänger der muslimische Minderheit der Ahmadiyya strafrechtlich verfolgt. Und die Massenvertreibung der Rohingya aus Myanmar zeige wohin die alltägliche Diskriminierung von Minderheiten führe.

Positiv sei, dass trotz der widrigen Umstände mehr Menschen und Aktivisten juristisch oder durch Demonstrationen gegen die Beschränkung ihrer Rechte vorgingen, so Beeko, etwa in Polen, Russland oder den USA. Dabei helfe es, dass Richter und Gerichte sich teils auf die Seite der Schwächeren stellten. Jedoch würden viele der Engagierten umso härter für ihren Protest bestraft, klagte Beeko. Die Zustände in der Türkei stünden exemplarisch dafür.

Appell für mehr Engagement

Beeko appellierte insbesondere an Deutschland und an die Europäische Union, als Verfechter der Menschenrechte viel deutlicher in Erscheinung zu treten.

Es sei eine der bedauerlichsten Entwicklungen des vergangenen Jahres, dass trotz schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie im Jemen, in Syrien oder Myanmar die internationale Staatengemeinschaft sich nicht deutlich gegen Autokraten und Despoten richte, sondern oft zum Alltag und zum wirtschaftlichen Geschäft übergehe. "Die Staatengemeinschaft muss Verantwortung übernehmen, wenn einzelne Staaten sich zurückziehen", mahnte Beeko.


Quelle:
KNA