Man darf es dem Papst nicht übelnehmen, wenn auch er vom "Nahen Osten" spricht - und damit ungewollt einseitig die europäische Sicht auf diesen Konfliktraum betont. Als nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs England und Frankreich das Mandat über die Länder am östlichen Mittelmeer übernahmen, versuchten sie die Jahrhunderte alten Grenzen neu zu ordnen. Das war gut gemeint, aber offenbar nicht zukunftsfähig, wie wir fast jeden Tag in den Nachrichten sehen müssen. Auch die jetzigen Regierungen haben die Menschen im ihnen zugewiesenen Gebiet bisher nicht flächendeckend zusammengebracht. Besonders deutlich zeigt sich das Kernproblem im Israel-Palästina-Konflikt: Zwei Völker beanspruchen das gleiche Land und die gleiche Hauptstadt für sich. Ein unlösbarer Konflikt?
"Stadt des Friedens"
Papst Franziskus setzt mit seiner Bitte in diesem November "auf die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften", die "den gleichen Lebensraum teilen". Ja, sie tragen in sich ein Hoffnungspotenzial, das man kaum überschätzen kann, und gleichzeitig lebensgefährliche Energien, solange sie sich als Alleinvertreter der Wahrheit fühlen.
Wenn die drei größten Gemeinschaften - also die der Juden, der Christen und der Moslems - ohne "Wenn und Aber" den einen Gott des Friedens in Wort und Tat ansagen würden, wäre schon sehr viel gewonnen! Jerusalem, die "Stadt des Friedens", wo sie alle drei auf engstem Raum ihr religiöses Zentrum haben, könnte zum Modell für die ganze Welt werden.
Bitte um "Geist des Dialogs"
Bis heute muss man in dieser Stadt leider noch von einem geistig verminten Gelände sprechen: Die meisten reden übereinander, aber nicht miteinander, man lebt aneinander vorbei. Auch Besucher müssen aufpassen, wann sie den Einheimischen auf Hebräisch mit "Schalom" oder auf Arabisch mit "Salam" einen friedlichen Tag wünschen.
Papst Franziskus hat durch sein Zugehen auf führende Moslems und seine Reisen in überwiegend islamische Länder ein neues Kapitel in der Beziehung der monotheistischen Religionen aufgeschlagen. Ein "Geist des Dialogs", den er mit uns erbitten möchte, entsteht vermutlich immer nur in der Begegnung auf Augenhöhe bei ehrlicher Wertschätzung der anderen Meinungen. Die können zunächst fremd oder sogar aufreizend wirken. Bei geduldigem Zuhören und mutigem Nachdenken eröffnen sich aber oft neue Perspektiven, die eigene Positionen vertiefen helfen. Da können sogar Synergieeffekte entstehen, die alle unerwartet weiterbringen.
Voneinander lernen und sich gegenseitig wertschätzen
Fruchtbar wird Dialog, wenn die Partner nicht ständig nur ihre eigenen Traditionen verteidigen, sondern umgekehrt die anderen aus ihrer Vorgeschichte zu verstehen suchen: Die arabische Kultur zum Beispiel war im europäischen Mittelalter hochentwickelt und führend.
Ihr heutiger Bedeutungsverlust schafft Gefühle der Minderwertigkeit, die durch unbedachte Rede vertieft werden. Den Juden andererseits verdankt die Menschheit unschätzbare Kostbarkeiten wie etwa die Idee gemeinsamer Ruhe am letzten Tag der Woche und die Zehn Gebote. Wir Christen haben es den Juden seit 2.000 Jahren mit Missachtung, ja teilweise sogar mit Hass vergolten.
Tourismus-Boom
Versöhnung erscheint da als ein Ziel in weiter Ferne, auf das wir aber seit 1945, dem Ende der Schoah, mit kleinen Schritten zugehen. Gott sei Dank!
Vielleicht leistet auch der gegenwärtige Tourismus-Boom nach Israel einen kleinen Beitrag zu besserer Verständigung. Für 2019 rechnet man bis zum Jahresende mit mehr als vier Millionen Reisenden. Das ist auf der kleinen Fläche, vor allem in der Enge der Heiligen Stadt ein Problem, aber auch eine Chance. Knapp die Hälfte der Besucher bezeichnet sich als Pilger, aber auch die nur als Touristen kommen, kehren verändert zurück. Sie werden nicht mehr so leicht oberflächlich Partei ergreifen, wenn sie lernbereit zugehört haben. Wer je in Bethlehem zu Fuß mit den Einheimischen durch die trennende "Friedensmauer" ging, wird die weihnachtliche Friedensbotschaft aus dieser Stadt nicht mehr wie eine süße Soße über den Festpudding gießen.
Frieden finden im Zusammenleben
Der Evangelist Lukas legte in seinem zweiten Kapitel den himmlischen "Nachrichtensprechern" in der Heiligen Nacht eine Meldung in den Mund, die man eigentlich besser so übersetzen müsste: "Herrlichkeit in den höchsten Höhen für Gott und auf Erden Friede in Menschen von Wohlgefallen".
Wer gefällt da wohl wem? Zuerst sind da sicher die Menschen gemeint, die sich gefallen lassen, dass sie - trotz aller Dummheiten, Fehler und Verbrechen - ihrem Schöpfer gefallen. Zuinnerst zu-frieden kann man wohl nur auf diesem Weg werden. Und wer mit sich Frieden gefunden hat, dem werden dann irgendwann auch solche Menschen wohl gefallen können, die anders sind, anders bleiben und mit denen zusammenzuleben es sich trotzdem oder gerade deswegen lohnt.