Auf Spiekeroog wird Fußball in der Kirche geschaut

"Jesus möchte ja auch Fußball gucken"

Spiekerooger und Touristen lassen ihren Emotionen freien Lauf, wenn sie sich in der Inselkirche zu den Deutschlandspielen treffen. So viel sichtbare Emotionen seien selten in der Kirche, konstatiert Inselpastor Friedemann Schmidt.

Public Viewing in der Neuen Inselkirche Spiekeroog (privat)
Public Viewing in der Neuen Inselkirche Spiekeroog / ( privat )

DOMRADIO.DE: "Public Viewing in der Kirche" klingt eher ungewöhnlich. Für Sie auf Spiekeroog ist das aber relativ normal. Warum? 

Friedemann Schmidt (Evangelischer Inselpastor auf Spiekeroog): So normal ist es auch nicht. Aber wir haben eine alte Idee aufgegriffen. Denn 1961 wurde die Kirche gebaut, und die wurde gleich so gebaut, dass man in der Kirche auch Kinofilme zeigen und Vorträge hören kann. Denn es ist hauptsächlich eine Kirche für Gäste, für Urlauber.

Man hat da zudem mit einem Klappmechanismus etwas Besonderes eingebaut. Man kann nämlich die Rückenlehnen der Bänke umklappen und guckt dann in die andere Richtung, das macht den Pfiff aus. 

Man sieht den Liebesfilm oder das Fußballspiel also nicht im Altarbereich, sondern genau auf der gegenüberliegenden Seite. Letztens sagte ein Gast so schön: "Der liebe Herr Jesus möchte ja auch Fußball gucken", weil er tatsächlich vom Altar direkt auf die Leinwand sehen kann. 

DOMRADIO.DE: Wie schnell machen Sie denn aus Ihrer Kirche einen Kinosaal mit "Fußball live". 

Schmidt: Das Umklappen der Bänke dauert fünf Minuten und das Hochziehen der Leinwand vielleicht auch noch mal fünf. Länger als eine Viertelstunde brauchen wir nicht zum Aufbauen. 

Friedemann Schmidt

"Man hat fast ein bisschen Sorge gehabt, dass die Betonglasfenster auseinanderfliegen."

DOMRADIO.DE: Sie haben bislang alle deutschen Gruppenspiele gezeigt, also die beiden Siege gegen Schottland und Ungarn und am Sonntag das 1:1 gegen die Schweiz. Beschreiben Sie mal den Lautstärkepegel, als am Sonntagabend kurz vor 23:00 Uhr noch der Ausgleich fiel. 

Kirchenbänke lassen sich in unterschiedliche Richtungen klappen (privat)
Kirchenbänke lassen sich in unterschiedliche Richtungen klappen / ( privat )

Schmidt: Man hat fast ein bisschen Sorge gehabt, dass die Betonglasfenster auseinanderfliegen. Das war schon toll. So viel Emotionen in der Kirche, so viel Jubel und Freude, aber auch genauso, wenn irgendwas danebengeht. So viel Emotion in der Kirche haben wir selten. 

DOMRADIO.DE: Dürfte es auch sonst in der Kirche etwas mehr sein? 

Schmidt: Emotionen sind viele da, aber wir zeigen sie nicht so. Wir Deutsche sind da "besonders", finde ich. Viel Emotion ist immer im Spiel, besonders wenn es um traurige Anlässe geht, mal aber auch um Freudiges. 

Aber dass man das so ungezwungen rauslässt, ist einfach das Ungewöhnliche und auch Beglückende. 

DOMRADIO.DE: Wie viele Menschen kommen da zu den Spielen? Sind das alles Urlauber? 

Schmidt: Es ist ganz massiv. Uns freut besonders, dass ganz viele Insulaner kommen. Wir gucken alle zusammen mit den Gästen. Das geht wild durcheinander und ist sehr schön. Wir dürfen laut der UEFA 349 Leute reinlassen. Da achten wir auch drauf. Das ist dann gut gefüllt, muss man sagen. Und dann ist es ein tolles Feeling da drin.

Es ist ein wunderbares Miteinander, wie das beim Fußball in der Regel auch ist. Beim Public Viewing wird immer gemeinsam geschaut und gefeiert. 

Friedemann Schmidt

 "Wir haben quasi den größten Raum."

DOMRADIO.DE: Und nach dem Spiel gehen alle wieder nach Hause und in ihre Unterkunft?

Schmidt: Die Kirche ist auch deswegen entstanden, weil wir lange Zeit so ein schlechtes Wetter hatten. Auf der Insel gibt es keinen so einen großen Raum, wir haben quasi den größten Raum. Da kann man dann wetterunabhängig gucken. 

Public View in der Neuen Inselkirche mit Gästen und Spiekeroogern (privat)
Public View in der Neuen Inselkirche mit Gästen und Spiekeroogern / ( privat )

Aber um Ihre Frage zu beantworten: In zehn Minuten waren die Menschen dann auch wieder draußen. Dort sind sie aber stehengeblieben, weil wir auf dem Kirchenvorplatz einen Bierstand hatten und ein bisschen gegrillt haben. Das war noch eine ganz wunderbare Stimmung danach. 

DOMRADIO.DE: Sie können mit solchen Aktionen für Lockerheit und ein Gemeinschaftsgefühl sorgen. Kann das der Kirche insgesamt nicht helfen? 

Friedemann Schmidt

"Das tut dem Raum auch gut, dass die Emotionen mal so rauskommen."

Schmidt: Ich kann nicht für die Kirche allgemein sprechen, aber ich kann für diesen Raum sprechen. 

Mir ist ein interessanter Gedanken gekommen: Räume machen ja etwas mit Menschen und Menschen machen etwas mit Räumen. Das ist also so ein dialogisches Ding, das in beide Richtungen geht. Das ist eine Kirche. Es bleibt auch eine Kirche, auch im Bewusstsein der Menschen, die Fußball gucken. 

Das sieht man daran, dass nach den zehn Minuten, als wirklich fast alle draußen waren, keine einzige Bierflasche mehr dastand oder irgendwas. Man darf Getränke mit reinnehmen und es war am Ende total sauber, ich war völlig überrascht. Das gleiche gilt übrigens auch für Toiletten. Es war einfach sehr diszipliniert. Das tut dem Raum auch gut, dass die Emotionen mal so rauskommen, da bin ich mir sicher.

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie jetzt vom Achtelfinale?

Schmidt: Ich wünsche mir, dass es weitergeht, weil es einfach wirklich Spaß macht. Ich wünsche mir, egal wer der Gegner ist, dass es nun wieder ein schönes und faires Spiel ist, das wir wieder mit ganz anderen Gästen gemeinsam erleben. Das wechselt ja immer relativ schnell. Die werden auch wieder überrascht sein, dass wir in der Kirche gucken. 

Hier sind alle wieder herzlich willkommen und wir freuen uns auch auf diesen Event. Wir sind einfach glücklich, dass das so gut klappt. 

DOMRADIO.DE: Was machen Sie beim Finale am 14. Juli, wenn es Deutschland nicht erreichen sollte? 

Schmidt: Das Finale zeigen wir auf jeden Fall. Es ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. Ich habe mir überlegt, ob wir noch andere Spiele zeigen sollten, die für die deutsche Mannschaft relevant sein könnten. Aber wir belassen es erst mal bei den Deutschlandspielen, weil es doch auch im Hintergrund ein bisschen Aufwand ist, den man da betreiben muss. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR