"Die Demonstrationen im Iran machen Hoffnung, dass die Mullahs gestürzt werden", sagt Nava Ebrahimi im DOMRADIO.DE Interview. Es mache ihr Mut, wie sich die Frauen im Iran den Milizen entgegenstellen. Überraschend ist das für die Autorin nicht, denn "die Frauen rebellieren und protestieren seit langem schon jeden Tag", sagt sie. "Jede Frau, die im Iran auf die Straße geht, versucht sich ihre Würde und Selbstbestimmung zurückzuholen, indem sie zum Beispiel das Kopftuch ein bisschen weiter nach hinten rutschen läßt, obwohl sie weiß, dass sie damit ein Wagnis eingeht, weil das den Sittenwächtern nicht gefällt".
Das menschenverachtende System sei nicht mehr haltbar, denn die Gesellschaft sei schon viel weiter, viel liberaler, viel progressiver. "Die Frauen sind gebildet und es ist eigentlich klar gewesen, dass es irgendwann so weit kommen wird", sagt die Autorin. "Die Frage war halt nur, wann und wie und welche Rolle der Westen dabei einnehmen wird". Globale Aufmerksamkeit sei wichtig, Solidarität mit den demonstrierenden Menschen im Iran.
In keinen anderen muslimischen Land sind die Moscheen so leer
Nava Ebrahim ist wütend auf die Mullahs, die im Namen des Islam diktatorisch regieren. Die Islamische Republik habe den Menschen den Islam total ausgetrieben, sagt die Autorin. "Das ist ein bisschen paradox, aber die Menschen haben keinen Bock mehr auf Religion. Laut einer Umfrage identifizieren sich nur noch 30 % der Iraner als Moslems. 43 Jahre lang sind die Menschen im Namen der Religion gepeinigt und entwürdigt worden und die Moscheen sind leer. In keinem anderen muslimischen Land sind die Moscheen so leer".
Das Bild, das viele Menschen in den westlichen Ländern vom Leben besonders der Frauen im Iran haben, sei von Vorurteilen geprägt. Die Frauen dort seien selbstbewusst, untereinander solidarisch und hätten sich vom patriarchalen Islam emanzipiert. "Viele sagen von sich, ich bin kein Moslem mehr, ich habe genug", beobachtet Ebrahimi. "Dagegen werden vorislamische Riten, vorislamische Traditionen hochgehalten". Das sei auch ein Ersatz für eine Art nationale Identität. Ebrahimi ist sich sicher, dass der Islam im Iran ausgedient habe.
Ebrahimi bezeichnet sich als säkular lebende Muslimin
Obwohl die Autorin, die in Köln aufgewachsen und auf eine katholische Grundschule gegangen ist, heute von sich sagt, dass sie mit ihrer Familie weitestgehend säkular lebe, antwortet sie manchmal auf die Frage nach ihrer Konfession, sie sei Muslimin, einfach um klarzustellen, dass es viele Muslime gebe, die sehr säkular leben, erklärt sie, vergleichbar mit säkular lebenden Christen. Sie wolle damit das Feld nicht nur den konservativen Moslems überlassen, die den Islam enger auslegen.
In der Moschee - wie ein Baby auf einer Krabbeldecke
Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in Graz – war aber in dieser Woche viel in Köln unterwegs. Ihr Buch mit dem Titel "Sechzehn Wörter" ist in diesem Jahr das Buch für die Stadt Köln. Das heißt, eine Woche lang gibt es in der ganzen Stadt zahlreiche Veranstaltungen rund um den Roman, der die Geschichte einer jungen Frau aus dem Iran erzählt. Die Ich-Erzählerin Mona fühlt sich in beiden Welten fremd – in Deutschland, wo sie aufgewachsen ist, und im Land ihrer Geburt, in das sie nach dem Tod ihrer Großmutter reist.
Über den Besuch einer Moschee heißt es in dem Buch: "Bevor ich eine Moschee betrete, spüre ich jedes Mal Widerwillen. Bin ich dann drin, möchte ich sie nicht mehr verlassen. Ich fühle mich dann wie ein Baby auf einer riesigen Krabbeldecke fühlen muss. Gestillt, gepudert, gewickelt". Die Autorin sagt, sie könne sich mit dieser Empfindung ihrer Romanheldin durchaus identifizieren. "Das erleben wahrscheinlich auch viele säkulare Katholiken so", sagt sie, "die in eine große Kirche hineingehen und kurz innehalten. Diese uralten Gebäude haben eine große Ausstrahlung". Aber ihre Empfindung habe überhaupt nichts mehr mit dem institutionalisierten Islam zu tun, der im Iran herrsche und die Menschen nur bevormunde und drangsaliere.