DOMRADIO.DE: Damals war es schwierig, eine Vorrichtung wie eine Babyklappe in Köln zu eröffnen? Welche Widerstände gab es?

Ute Theisen (Vorstandsvorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen SkF in Köln): Ich war damals noch nicht beim SkF Köln tätig, aber meine Vorgängerin Monika Kleine berichtete immer gerne und viel darüber. In Köln war es gar nicht so problematisch. Wir nennen das Angebot Moses Baby Fenster, weil sich Babyklappe nach Mülleimer anhört.
Das Fenster kam sogar auf Anregung des Rates der Stadt Köln ins Leben, es wurde dort beschlossen. Es wurde an unsere Eltern-Kind-Einrichtung Haus Adelheid in Bilderstöckchen angedockt, die dort schon zum damaligen Zeitpunkt eine jahrzehntelange Tradition hatte. Mit dem Standort war die Idee verbunden, dass hilfesuchende Mütter oder Eltern nicht nur dieses Fenster finden, wo sie ihr Kind sicher ablegen können, sondern theoretisch Tag und Nacht Menschen finden, die ansprechbar wären, falls es dafür eine Offenheit gibt.
DOMRADIO.DE: Wie lässt es sich christlich begründen, dass diese Fenster eine gute Sache sind?
Theisen: Im Grunde genommen ist es zutiefst ein Ausdruck unserer Nächstenliebe, dass wir erstmal jeden Menschen so nehmen, wie Gott ihn oder sie geschaffen hat. Wenn eine Mutter in großer Not zu der Auffassung kommt, dass sie selber nicht für das Kind sorgen kann, halten wir es für das Beste, was einem Kind passieren kann, dass es direkt in die Obhut von Menschen kommt, die sich gut um es kümmern. Die dafür sorgen, dass es eine Lebensperspektive gibt, es sicher aufwachsen kann und nichts Schlimmeres mit ihm passiert.
DOMRADIO.DE: Eine der wichtigsten Intentionen zur Einrichtung dieser Babyfenster war, dass die Zahl der Kindstötungen gesenkt wird. Ist das aufgegangen?
Theisen: Es gibt kaum statistisches Material, was das eine oder andere valide belegen würde. Insofern würde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass man das tatsächlich messen kann. Es ist schrecklich, sich das vorzustellen, aber es gibt eine Dunkelziffer von Kindern, von denen wir alle womöglich niemals mitbekommen, ob sie nicht vielleicht doch getötet werden und in einem Container oder ähnlichem landen.
Das ist überhaupt nicht nachzuvollziehen. Aber wir konzentrieren uns auf das Positive, nämlich darauf, dass es gelungen ist, hier in Köln 35 Kindern, die abgelegt wurden, in den 25 Jahren eine gesicherte Zukunft zu gewähren.
DOMRADIO.DE: Könnte man also doch sagen, die Einrichtung der Babyfenster rettet Leben?
Theisen: Auf jeden Fall, davon sind wir zutiefst überzeugt. Sonst würden wir das nicht machen. Meine Vorgängerin Monika Kleine hatte zum Beispiel 2008 die Gelegenheit, gegenüber dem Ethikrat entsprechend über das Angebot zu berichten.
Das ist letztlich in die Stellungnahme miteingeflossen und hat vor allen Dingen dafür gesorgt, nicht dabei stehen zu bleiben, dass es Babyfenster gibt, sondern dass auch weitergehende Möglichkeiten der anonymen Kindsabgabe gesetzlich fundiert werden. 2014 mündete das ins Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt.
DOMRADIO.DE: Welche Gründe sind es, die Frauen bewegen, ihr gerade geborenes Kind abzugeben?
Theisen: Wir können darüber in der Regel fast ausschließlich mutmaßen, weil wir den Großteil der inzwischen 35 Mütter, die ihr Kind bei uns abgelegt haben, nie kennengelernt haben. Aber wir wissen aus unserer Beratungstätigkeit, dass es in der Regel ein ganzer Strauß an Problemen ist, der dazu führt. Das fängt an damit, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse so rudimentär sind, dass die Frauen davon ausgehen, dass sie nicht die Möglichkeit haben, ihr Kind zu ernähren, ihm ein Zuhause zu geben und es entsprechend erziehen zu können.
Es können aber auch Gründe dahinter liegen, dass beispielsweise die Familie schon beim Jugendamt bekannt ist, weil gegebenenfalls schon viele Kinder in der Familie geboren wurden, die nicht mehr dort leben können, weil sie in Obhut genommen wurden. Wenn die Eltern gezeigt haben, dass sie von ihren geistigen Kapazitäten her nicht die Möglichkeit haben, Kinder zu erziehen und ihnen eine sichere Zukunft und Gegenwart zu bieten.
In anderen Fällen handelt es sich um Frauen mit Migrationshintergrund, bei denen solche Fragen wie Verheiratetsein, außerehelicher Geschlechtsverkehr und anderes dazu führen, dass die Kinder geächtet werden. Die Schwangerschaft wäre mit Morddrohungen oder ähnlichem verbunden. All das führt zu sehr großer Not und großen Gewissenskonflikten.
Wir wissen, dass es sich jede Mutter oder auch Eltern – zum Teil können wir sagen, dass es tatsächlich Eltern oder zwei Personen waren, die die Kinder dort abgelegt haben – überhaupt nicht leicht machen, so eine Entscheidung zu treffen. Manchmal sehen wir sie noch, bevor wir die Kinder aus dem Fenster herausnehmen, meistens mit Tränen und großer Trauer. Der einzige Wunsch ist, für das Kind eine gute Zukunft zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Verfolgen Sie auch, was aus den Kindern geworden ist?

Theisen: Bei uns ist der große Vorteil, dass wir zwei Hilfen aus einer Hand bieten können. Die eigentliche Abgabe erfolgt im Haus Adelheid. Da gibt es schöne Dinge zu berichten, wie beispielsweise dass ein weiblicher und ein männlicher Name für das nächste Kind bereits ausgesucht ist, damit man sich nicht in der Hektik des Augenblicks der Kindabgabe auch noch einen Namen für das Kind überlegen muss. Das ist eine schöne Tradition.
Zuerst werden die Kinder ins Krankenhaus gebracht und dann kümmern sich in der Regel erstmal Ehrenamtliche um die Kinder. Der zweite Strang ist, dass unser Fachdienst für familienanaloge Unterbringung, klassischerweise könnte man es auch als Adoptionsdienst bezeichnen, sich dann darum kümmert, dass die Kinder in eine Adoptivfamilie vermittelt werden.
Es sind 35 Kinder, die in den vergangenen 25 Jahren dort abgelegt wurden. Fünf dieser Kinder konnten zurückgeführt werden. Da haben sich die Kindsmütter in der Regel kurze Zeit später gemeldet und waren mit entsprechender Unterstützung und Hilfe in der Lage, sich selber um ihre Kinder zu kümmern. Die anderen ungefähr 30 leben heute in Adoptivfamilien, die wir vermittelt haben.
DOMRADIO.DE: Welche Veränderungen gab es in den letzten 25 Jahren beim Babyfenster?
Theisen: Die allergrößte Veränderung findet im Moment statt. Wir bauen neu, weil sich der Verein dazu entschieden hat, dass die Mutter-Kind-Einrichtung nach fast 50 Jahren abgerissen wird. Für uns war von Anfang an klar, dass es auch in der neuen Einrichtung, die in diesem Jahr noch eingeweiht wird, wieder ein Moses Baby Fenster geben soll, um dort weiterhin diese Möglichkeit bereitzuhalten, die wir so schätzen.
Am Verfahren hat sich seit 2000 nicht viel verändert. Immer wieder neu Thema ist die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Behörden, sei es mit der Polizei, mit den Krankenhäusern oder mit dem Jugendamt. Dort beginnen immer wieder neue Menschen und zum Teil wird dann das aus unserer Sicht bewährte Verfahren infrage gestellt, ob das denn wirklich alles so geht.
Zu Beginn war auch die Frage, ob nicht durch die Bereitstellung des Fensters Unterhaltspflichtverletzung oder Personenstandsfälschung durch den SKF und damals durch Monika Kleine begangen wird. Gegen sie wurde staatsanwaltschaftlich ermittelt. Fragen in diesem Zusammenhang kommen immer mal wieder zum Vorschein, nicht durch die Staatsanwaltschaft, sondern zum Beispiel durch neue Polizeibeamte, die das infrage stellen.
Das Interview führte Heike Sicconi.