DOMRADIO.DE: Das anstehende Festival Alte Musik Knechtsteden steht ganz im Zeichen der Bach-Familie. Warum haben Sie auch die Familienmitglieder und nicht nur Johann Sebastian Bach allein in den Fokus gestellt? Immerhin ist es ja das letzte Festival unter Ihrer Leitung…
Hermann Max (Gründer und künstlerischer Leiter des Festivals Alte Musik Knechtsteden): Johann Sebastian Bach war ja nun sehr familienorientiert. Er hat das sogenannt Altbachische Archiv zusammengestellt oder bewahrt, das waren Kompositionen seiner Vorfahren. Und er hat sicherlich ein großes Interesse daran gehabt, auch mal zu schauen, wie vor ihm komponiert worden war, wie er angefangen hat und wie er sich selbst weiterentwickelt hat.
Ich glaube, es hat ihn auch sehr interessiert, wie sich seine Söhne, solange er noch lebte, weiterentwickeln und diese Familientradition will ich im ersten Konzert ein bisschen zeigen.
DOMRADIO.DE: Nun ist es das letzte Festival unter Ihrer Leitung. Sie sind ja sehr geschätzt für Ihr Wirken im Bereich der historisch informierten Aufführungspraxis seit vielen Jahren. Was fasziniert Sie denn ganz persönlich an dieser Art des Musizierens?
Max: Diese Art des Musizierens ist ja ein weites Feld geworden. Ich weiß gar nicht, wie wirklich informiert viele junge Musiker heute noch über das Denken und Musikmachen im 17./18. Jahrhundert sind. Ich habe oft den Eindruck, dass das Wissen gar nicht mehr so da ist. Ich meine, junge Musiker, die heute in diesen Repertoirebereich des 17. und 18. Jahrhundert einsteigen, die haben gar keine Zeit mehr, sich in den historischen Quellen genau umzusehen, zu lesen und zu fragen: Wie wurde denn Musik nun gemacht? Wie hat man damals über Musik gedacht und über das, was die Musik bewirken, aussagen und bewirken soll?
DOMRADIO.DE: Und wie gehen Sie dann mit Ihrer Erfahrung der letzten Jahrzehnte an ein Stück aus dem 17. Jahrhundert heran?
Max: Ich versuche, soweit die Probenzeit das erlaubt und im Vorhinein, schon ein bisschen Informationen an die Musiker loszuwerden, darüber, wie ich die Musik denke. Es steht in dieser Musik natürlich das Wort im Vordergrund.Heute werden oft vor allen Dingen die Noten gespielt und gar nicht bedacht, dass die Worte, die vielleicht dahinter stecken, im Vordergrund stehen müssen.
Die Musiker dieser Zeit, über die wir sprechen, die haben, wenn sie eine Schule besucht haben, Rhetorik im sogenannten Deutschunterricht gehabt. Sie haben also gelernt, wie man eine Rede aufbaut, aber vor allen Dingen auch, wie man eine Rede vorträgt, mit allen Kunstgriffen der Sprache; welche Konsonanten behandelt man wie und wie "scharf", wie ich jetzt dieses Wort ausspreche, muss man vorangehen, um mit der Sprache Wirkung, das heißt Affekte in einem Zuhörer hervorzurufen.
Das war das einzige Ziel, also dass man eine Zuhörerschaft wirklich in einen Gemütszustand versetzt und dass man nicht nur schöne Musik hört, sondern dass man in "Mitleidenschaft", möchte ich sagen, mit der Musik gezogen wird.
DOMRADIO.DE: Wie schafft man es, ein Werk aus dem 17. Jahrhundert so frisch und neu klingen zu lassen, dass es eben auch die heute lebenden Menschen im 21 Jahrhundert erreicht?
Max: Eigentlich habe ich Ihnen die Antwort schon gegeben. Zum Beispiel sollen sich die Sänger ausdrücken, wie das ein Schauspieler tut, also zunächst mal über die Sprache. Und in der Sprache gibt es so viele Möglichkeiten; man kann langsamer werden, man kann schneller werden, weil es dramatischer wird. Und all diese Dinge, die sollten einbezogen werden, wenn man sich an die historische Aufführungspraxis hält, weil die Leute es damals so gemacht haben.
Diese häufige Meinung, dass damals alles mehr oder weniger metronomgenau wiedergegeben worden sei - das ist wirklich ein ganz großer Irrtum. Nein, man hat sich beim Musizieren Freiheiten genommen, von denen wir uns heute kaum noch einen Begriff machen. Zum Beispiel wenn in einer Musik in der Bass-Gruppe ein langer Ton, ein Orgelpunkt, ausgehalten wurde, dann war das ein Zeichen dafür, dass man jetzt sehr agogisch in der anderen Stimme handeln kann und dafür gibt es noch viele andere Beispiele.
DOMRADIO.DE: Die Vokalmusik des 17. Jahrhunderts ist ja sehr oft sakral. Setzen Sie sich dann mit dieser anders auseinander als wenn es ein weltliches Lied ist?
Max: Nein, kein bisschen. Auch die weltliche Musik kann genauso drastisch und genauso kontrastreich und in der Wirkung stark sein wie die geistliche Musik. Ich mache da keinen Unterschied.
DOMRADIO.DE: Dann schauen wir jetzt noch auf das Festival Alte Musik in Knechtsteden. Seit 32 Jahren haben Sie die künstlerische Leitung. Wie sind Sie denn überhaupt auf die Klosterbasilika als Haupt-Spielort gekommen?
Max: Das ist eigentlich in der Region für so etwas der einzige wirklich attraktive Raum. Mit attraktiv meine ich: Das ist ein wunderschöner Raum mit einer tollen Akustik für Musik des 17. Jahrhunderts. Zumal der Raum natürlich auch ein Publikumsmagnet ist, denn die Kirche liegt wunderschön im Grünen und man kann vor oder nach einem Konzert oder in der Pause draußen schön flanieren. Es ist ein wunderschönes Fleckchen dort.
Als wir mit dem WDR anfingen, Aufnahmen mit dieser völlig neu entdeckten Musik zu machen, haben oft die Musiker nach den ersten Proben gesagt: Mein Gott, das ist tolle Musik. Und dann haben wir versucht, mal so eine Art öffentliche Generalprobe für eine Aufnahme zu machen. Aber die Leute kamen einfach nicht. Dann haben wir überlegt, Moment mal, also irgendwie müssen wir die Leute doch dazu kriegen, dass sie merken, was für tolle Musik das ist. Und deswegen haben wir damit angefangen, dort in diesem tollen Umfeld des Klosters Konzerte zu machen und haben dieses Festival gegründet.
DOMRADIO.DE: Sie haben ja sehr viele vergessene Komponisten musikalisch wieder "ausgegraben". Wie merken Sie, dass die Musik, die Sie da finden, wirklich gut ist und Substanz hat? Manche Werke sind ja vielleicht auch zurecht vergessen worden...
Max: Ich bin sicher, dass eigentlich in der Zeit des 17. und 18. Jahrhundert gerade die Kirchenmusik hervorragend gewesen ist, weil das kompositorische Handwerkszeug ist wirklich großartig verwendet worden, um Musik ausdrucksvoll zu erstellen und so zu erstellen, dass ein Publikum dadurch bewegt wird. Und ich habe selten schlechte Kirchenmusik aus dieser Zeit auf dem Pult meines Cembalos gehabt.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie dann das Abschlusskonzert in diesem Jahr dirigiert haben: Glauben Sie, dass Sie da besonders wehmütig sein werden? Oder sind Sie eher ein Mensch, der eher nach vorne blickt?
Max: Das weiß ich nicht. Ich meine, ich blicke nach vorne und im Augenblick habe ich das Gefühl, dass mir da irgendwas von den Schultern abfällt, es gibt ja auch immer sehr viel Organisatorisches zu tun, zum Beispiel einen genauen Proben-Plan zu erstellen, bei dem keiner zu lange warten muss. Das sind alles Dinge, die macht man nicht gerade mit großer Begeisterung. Begeistert bin ich, wenn ich Noten auf dem Cembalo stehen habe und entdecke, dass da wundervolle Ausdrucksformen vom Komponisten zu Papier gebracht wurden. Aber diese anderen Dinge, die werden mir von den Schultern fallen und dafür bin ich froh.
DOMRADIO.DE: Und das Festival geht ja weiter. Es wird ja auch nächstes Jahr eine Neuausgabe mit Dorothee Oberlinger als Artist in Residence geben. Was wünschen Sie denn diesem Festival, das Sie gegründet haben, für die Zukunft?
Max: Es ist ja nicht selbstverständlich, dass diese Musiksparte auch zukünftig ein umfangreiches Publikum anzieht. Im Augenblick denke ich, es wäre in meinem Interesse, dass das Festival gut weitergeführt wird und dass also die, die zukünftig federführend sind, das Geschick haben, das Publikum durch fesselnde Programme auch weiterhin anzuziehen. Aber ich bin sicher, dass sie das schaffen!
Das Interview führte Mathias Peter
INFO: Das Festival Alte Musik Knechtsteden startet mit dem Auftaktkonzert am 16. September ab 20 Uhr in der Klosterbasilika.
Das komplette Gespräch mit Hermann Max wird im Radioprogramm von DOMRADIO.DE in der Sendung Musica ab 20 Uhr am Sonntagabend ausgestrahlt.