Die Kreuzigungsgruppe mit Jesus und den zwei Schächern steht in der Vitrine ganz hinten an erhobener Stelle. Kein Golgatha-Ambiente ist aufgebaut. Nur eine schlichte, in Zinnoberrot gehaltene Vitrine mit unterschiedlichen Ebenen bietet das Ambiente für Ereignisse aus dem Leiden und Sterben des Herrn.

Nebeneinander aufgereiht sind sieben edel gekleidete und mit voluminösen Kopfbedeckungen ausgestattete Priester des Hohen Rats. Auch fünf römische Soldaten lassen sich entdecken, wie sie um das Gewand Jesu würfeln.
All diese Figuren stammen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und sind von Münchner Meistern gefertigt. Sie sind Teil der bedeutenden Krippensammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München, die vor allem auf einer Schenkung des Münchner Bankiers Max Schmederer (1854-1917) fußt.
In erster Linie findet sich dort das Weihnachtsgeschehen in allen Variationen. Das Jesuskind mit Maria und Josef, dazu die Hirten mit Schafen und prächtige Königszüge. Das geht zu Herzen und erfreut die Seele. Das stellt man sich selbst zu Hause gerne auf.
Kulturphänomen
Aber wer schmückt sein Wohnzimmer mit einem Jesus, der brutal gegeißelt und ans Kreuz geschlagen wird? Kein Wunder, dass es mehr Weihnachts- als Passionskrippen gibt. Thomas Schindler, Experte für Volkskunde im Nationalmuseum, erhebt sofort Einspruch und empfiehlt, die Geschichte genauer anzuschauen.
"Krippen sind ein aus Italien stammendes Kulturphänomen, das im 16. Jahrhundert eine gewisse Reichweite entfaltet, bis zum Münchner Herzogshof", erläutert er. Angefangen habe es mit dem Weihnachtsmotiv, im Rokoko seien die Fasten- und Passionskrippen aufgekommen.

Die mit Figuren inszenierten biblischen Geschichten waren als Andachtsbild gedacht. "Die Leute konnten nicht lesen und schreiben", erinnert Schindler. "Und wer versteht schon eine auf Latein gehaltene
Predigt des Pfarrers? Wenn man sie aber bebildert bekommt, kann man es besser nachvollziehen."
In der Gegenreformation seien es die Jesuiten gewesen, die eine Bauanleitung für Krippen entwickelten und diese populär machten, so der Volkskundler. Andere Orden hätten nachgezogen und weitere Szenen aus dem Leben Jesu ins Bild gesetzt, so dass Jahreskrippen entstanden seien.
Krippenedikt und Säkularisation
Ein Bruch setzte mit der Aufklärung ein. Der Habsburger Kaiser Joseph II. befahl 1782, Krippen aus Kirchen zu verbannen, im Zuge der Säkularisation folgte 1803 auch Bayern dieser Idee. Auf einmal kamen
Krippen aller Art auf den Markt und so in bürgerliche Hände. Viele Passionskrippen mögen vernichtet worden sein, weil sie keine Abnehmer gefunden hätten, gibt Schindler zu bedenken.
"Die waren übrig, aber keiner wollte sie." Letztlich sei es auch eine Platzfrage. Man bräuchte ein eigenes Zimmer, um vom Einzug in Jerusalem übers Letzte Abendmahl bis zu Kreuzweg, Kreuzigung und Auferstehung alles aufstellen zu können.
Besser zu handhaben mögen Papierkrippen sein, wie jene aus Tirol von 1758. Aus Bögen ließen sich die Kreuzigung oder auch die schlafenden Jünger am Ölberg ausschneiden. Nur vier oder sechs Zentimer groß sind die Holzfiguren der Südtiroler Schnitzerfamilie Probst für eine Jahreskrippe.
Darunter ein kurios anmutender Tanz von vier Teufeln um jenen Baum, an dem sich der Verräter Judas aufgehängt hat. Ein schwungvoll auferstandener Jesus, der die Grabplatte gesprengt hat und Wächter umfallen ließ, gehört ebenfalls dazu.

Horror pur
Zurück zur Leidensgeschichte - mit Zeitgeist-Anspielung. Bei der Verspottungsszene der Münchner Figuren fällt ein Mann mit einer Feuerspritze auf. Diese gibt es seit dem späten Mittelalter, um mit gezieltem Wasserstrahl Brände zu löschen. Als Folterinstrument war die Spritze auch beliebt.
Damit wurden dem Angeklagten Klistiere verabreicht oder Luft ins Ohr geblasen, um das Trommelfell zu durchstoßen. Geständnisse seien so erpresst worden, erklärt der Experte. Die Menschen hätten um diese Grausamkeiten gewusst. Die Botschaft: "Schau hin, was Jesus für deine Schuld auf sich genommen hat."
Dazu gehörte auch der Tod am Kreuz. Von diesem bereits abgenommen wird Jesus in einer Fastenkrippe aus Neapel aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die für die Familie di Giorgio angefertigt wurde. Die Köpfe der 40 Zentimeter großen Gliederpuppen sind aus Porzellan, die Extremitäten aus Holz geschnitzt und der gesamte Körper mit edlen Stoffen angezogen. Johannes kümmert sich um die weinenden Frauen, während römische Soldaten als Wachen anwesend sind.
Das Schöne im Leid
Drei Männer halten den nur von einem Tuch bedeckten Leichnam des Gekreuzigten. Am Herzen ist die von einem Speer zugefügte Wunde erkennbar. "Bemerkenswert finde ich, dass Jesus die Statur eines Modellathleten hat mit einem markanten Sixpack", sagt Schindler.
Der Sohn Gottes werde hier einer antiken Götterskulptur gleich dargestellt, wie man sie im nahen Pompeji ausgegraben haben möge. "Das Schöne im Leid wird so offensichtlich", führt der Kenner weiter aus. Hier schwinge Hoffnung mit: Denn am Ende siegt nicht der Tod, sondern es folgt Auferstehung.