domradio.de: Warum können wir denn mit Fug und Recht sagen, dass das Gesicht der Armut in Deutschland jung ist?
Lisi Maier (Bundesvorsitzende des Bundes der deutschen Katholischen Jugend (BDKJ)): Junge Menschen unter 27 Jahren sind die am stärksten von Armut betroffene Gruppe in Deutschland. An den Zahlen von 2016 sieht man, dass unter den Kindern - also den Unter-18-Jährigen - die Armutsquote bei 19 Prozent liegt. Bei den Jugendlichen von 18 bis 27 Jahren sprechen wir von 24,6 Prozent. Das heißt, Armut hat ein junges Gesicht, weil das Quoten sind, die sehr deutlich zeigen, wie arm junge Menschen in Deutschland sind.
domradio.de: Kinderarmut ist ja ein Thema, das im allgemeinen Bewusstsein verankert ist. Bei der Jugendarmut sieht es ein bisschen anders aus.
Maier: Ja, Kinderarmut wird oft von den Medien aufgegriffen. Wir sehen auch, dass die Medien oft mit Bildern spielen. Weil Kinder, glaube ich, nochmal stärker ein Mitgefühl beim Menschen auslösen. Die Jugendarmut gerät dagegen oft aus dem Fokus weil Jugendliche vielleicht das Mitgefühl nicht so stark auf sich ziehen. Deshalb geraten sie oft in Vergessenheit.
Dabei ist es so, dass gerade Jugendarmut nicht nur die am stärksten betroffene Gruppe sind, sondern man beim Thema Jugendarmut politisch am stärksten handeln könnte. Denn Jugendarmut passiert ganz oft an den an den Schnittstellen - an den Übergängen von Ausbildung in Beruf, oder von Schule in Ausbildung -, wo junge Menschen dann auch verloren gehen und wo gesellschaftliche und politische Bedingungen eine große Rolle spielen.
Da ist zum einen die Leiarbeit zu nennen: Junge Menschen unter 35 Jahren machen 48 Prozent der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen aus. Und wir müssen auch auf den SGB-II-Bezug (Anm. der Redaktion: Hartz-IV-Bezug) gucken, Dort führen verschärfte Sanktionen für Unter-25-Jährige einfach ganz oft zu Obdachlosigkeit. Das sind Themenfelder, auf denen viel bewirken könnte, wenn man an kleinen Rädchen drehen würde.
domradio.de: Das heißt, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Armut und niedriger Bildung. Das ist eigentlich nicht überraschend, oder?
Maier: Genau, es gibt einen total großen Zusammenhang. Fehlende Bildung und fehlende oder schlechte Schulabschlüsse führen im Endeffekt ganz oft entweder in den SGB-II-Bezug oder in die Leiharbeit. Das führt natürlich dazu, dass junge Menschen nicht nur weniger Geld in der Tasche haben, sondern auch nicht mehr aus dieser Armutsspirale rauskommen. Diese mangelnde Durchlässigkeit des Bildungssystems ist ja auch was, was die OECD schon seit Jahren kritisiert und wo Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern auch total schlechte Zahlen aufweist.
domradio.de: Sie vom BDKJ fordern ja gemeinsam mit evangelischen Jugendverbänden schon seit längerem ein eigenständiges Kinder- und Jugendgrundeinkommen. Was genau würde so ein Grundeinkommen bringen?
Maier: Aus unserer Perspektive - aus der Perspektive der katholischen und evangelischen Jugend - glauben wir, dass ein eigenständiges Kinder- und Jugendgrundeinkommen die Absicherung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nochmal ganz anders gewährleisten kann. Wir wissen, dass Kinder am häufigsten von Armut betroffen sind, wenn sie aus armen Familien kommen. Also dort ist der Familienzusammenhang eine sehr starke Einflussquote.
Jugendliche sind in der Phase besonders betroffen, in der sie viel Geld aufbringen müssen für Ausbildung oder für die schulische Ausbildung. Deshalb glauben wir, dass für beide Gruppen - für Kinder und Jugendliche - ein Kinder- und Jugendgrundeinkommen eine finanzielle Absicherung bringen würde. Die Höhe könnte berechnet werden nach den Bedürfnislagen von Kindern und Jugendlichen. Wir glauben aber auch, dass es an den entsprechenden Rädchen weiter zu drehen gilt: Abschaffung der verschärften SGB-II-Sanktionen für unter 25-Jährige, aber auch eine Unterstützung an den Übergängen von Schule oder Ausbildung zum Beruf sind da ganz, ganz wichtig.
Das Interview führte Tobias Fricke.