DOMRADIO.DE: Sie haben mal gesagt, dass sie das Katholische als eine innere, eine seelische Heimat empfunden haben. Ist das immer noch so bei Ihnen?
Beatrice von Weizsäcker (Juristin und Publizistin): Ja, das ist immer noch so. Das ist ungeachtet aller anderen Themen, über die wir sicher noch reden werden. Das ist meine Heimat geworden, in die ich über lange Zeit hineingewachsen bin. Die Konversion selber war dann quasi nur noch der letzte Schritt. Und diese Heimat ist es mir geblieben. Das liegt sehr stark an Menschen, das liegt sehr stark an den Gottesdiensten. Es liegt sehr stark an meiner eigenen Pfarrei, die wunderbar ist, wo ich auch im Chor singe. Das ist eine großartige Gemeinschaft.
Ich bin auch oft zum Beispiel im Benediktinerkloster St. Ottilien am Ammersee. Das sind Orte, die ich vorher nicht kannte. Also Orte der wirklichen Ruhe, des Zu-sich-selber-Kommens inmitten des Trubels, den jeder und jede von sich kennt und bei uns ein bisschen problematischer war, als das mit meinem Bruder passierte (Ihr Bruder, der Arzt Fritz von Weizsäcker, wurde von einem psychisch kranken Mann 2019 bei einem Vortrag ermordet, Anm. d. Redaktion).
DOMRADIO.DE: Können Sie das vielleicht noch mal ganz plastisch machen, was für Sie solche besonderen, innigen Momente des Katholischseins sind?
Weizsäcker: Das ist schwer zu sagen. Es ist ein Gefühl des Angenommenseins und des Angekommenseins. Ich habe sehr lange nach allem Möglichen in meinem Leben gesucht, wie es wahrscheinlich viele Menschen machen. Dann hatte ich das Gefühl, dass ich angekommen bin. Es ist für mich eine Heimat geworden, in der sich meine Seele wohlfühlt. Das hat sehr viel mit Gemeinschaft zu tun. Das hat sehr viel mit Füreinander da sein zu tun. Und es geht eben über die eigenen Grenzen, in meinem Fall Münchens weit hinaus.
Wenn ich woanders bin, dann kenne ich die Riten, dann kenne ich die Gesänge. Dann ist sozusagen die "Einrichtung" des Hauses unverändert. Dann sind es die Menschen, die unterschiedlich sind. Aber das, was uns verbindet, ist das Gleiche. Das ist vielleicht das, was es ausmacht.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite stehen in der katholischen Kirche auch Dinge wie die Ungleichbehandlung von Frauen, der oft noch immer diskriminierende Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren, die schleppende Aufarbeitung von Missbrauch. Können Sie das an sich abperlen lassen, darüber hinwegsehen?
Weizsäcker: Nein! Das perlt natürlich nicht an mir ab. Zumal manche von diesen von Ihnen thematisierten Bereichen mich persönlich auch treffen. Ich unterstütze auch Gruppen und Menschen, zum Beispiel #OutinChurch, die sich für eine Kirche ohne Angst einsetzen, die sich für gleichgeschlechtliche Paare einsetzen.
Ich rege mich genauso auf wie alle anderen, wenn plötzlich ein Grundsatzdokument zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare daherkommt und dann immerfort von irregulären Paaren gesprochen wird.
Ich stelle mir manchmal vor, ich würde mich mit Jesus unterhalten und sagen: Kennst du eigentlich schon die irregulären Paare auf der Welt? Da würde er mich wahrscheinlich anschauen und sagen: Was ist das? Und dann würde ich sagen: Es sind Menschen, die sich lieben. Und dann würde er wahrscheinlich sagen: Was kann an Liebe irregulär sein? Das sind so Sachen, die mich natürlich total aufregen.
Sie haben das andere Thema schon erwähnt. Das Frauenpriestertum soll jetzt bei der Weltsynode ein bisschen im Abstellkämmerlein besprochen werden. Das kann man natürlich auch nicht machen.
Und ein weiteres Beispiel ist die Erfahrung, die Viola Kohlberger in der katholischen Kirche gemacht hat. Sie hat als einzige Kandidatin für die Pfadfinderinnen und Pfadfinder für das Bundeskuraten-Amt kandidiert und ist von den Bischöfen abgelehnt worden. Ich kenne wenige Menschen, die so gern in der Kirche sind und die Kirche so mögen wie sie. Und sie überlegt jetzt auszutreten. Da blutet mir das Herz, wenn sich das eine so eine junge Frau überlegt. Sie muss wirklich im Kern erschüttert sein.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich ist es ja in den letzten Jahren gerade oft so gewesen, dass Menschen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, gerade Leute waren, denen ihr Glaube eigentlich sehr wichtig war und die von der Institution tief enttäuscht waren. Was bedeutet das für die Kirche? Ist das eine Art Kernschmelze, wie viele sagen?
Weizsäcker: Ja, das ist eine Kernschmelze. Das betrifft weiß Gott nicht mehr die Menschen, die wegen der Kirchensteuer austreten oder weil sie sich zurecht über das Thema sexualisierte Gewalt aufregen. Das Thema ist ja nun gerade auch in Köln wieder neu aufgeflammt und wird durch Zahlen und Gutachten weiterhin aufkommen.
Da gibt es Menschen, die sagen: Das kann nicht meine Kirche sein, in der Täter geschützt werden und nicht die Opfer, wie es oft den Eindruck hat. Dieser Eindruck ist auch nicht ganz falsch. Wenn es Menschen wie Viola Kohlberger betrifft, die zum Kern der Kirche gehören, dann ist das Verzweiflung.
Bei den anderen ist es Aufregen. Aber zwischen Aufregen und einer Verzweiflung, sodass Menschen aufgeben, besteht ein Riesenunterschied. Das ist eine Kernschmelze.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie die Macht hätten, ganz schnell etwas in der katholischen Kirche zu ändern, was wäre das Dringendste, was Sie tun würden?
Weizsäcker: Öffnung. Die katholische Kirche muss sich öffnen. Kirche muss ein offenes Haus sein und nicht nur sagen, sie sei es. Sie muss offen sein.
Wir haben eben von den gleichgeschlechtlichen Paaren gesprochen, die neuerdings gesegnet werden dürfen. Die dürfen nicht in der Kirche, im Gottesdienst gesegnet werden, sondern zum Beispiel auf einer Pilgerfahrt. Der Pfarrer darf nicht gratulieren. Das Paar darf sich nicht schön anziehen. Das Ganze muss in 10 bis 15 Sekunden vorbei sein.
Jemand hat mal gesagt: Das ist ein Schritt, um die Menschen in die Kirche hineinzunehmen. Für mich ist das ein Schritt, um die Menschen buchstäblich aus der Kirche herauszutreiben. Die Kirche muss ihre Türen öffnen und die Leute nicht nur verbal einladen, sondern sich auch freuen, wenn sie kommen.
DOMRADIO.DE: Das klappt ja noch nicht so richtig gut. Und das sind ja wirklich keine nebensächlichen Fragen. Hand aufs Herz: Haben Sie auch schon mal daran gedacht, wieder auszutreten?
Weizsäcker: Nein! Seltsamerweise nicht. Das hat verschiedene Gründe. Erstens fühle ich mich in meiner eigenen Pfarrkirche und der Gemeinschaft, in der ich in München lebe, und auch in anderen Kirchen wirklich sehr wohl.
Und ein anderer wichtiger Punkt ist folgender: Ich habe nicht viel in der Kirche zu sagen, aber ich möchte sie nicht den Menschen überlassen, die dann sagen: Na, Gott sei Dank sind wir die los, jetzt können wir erst recht hardlinermäßig durchgreifen. Außerdem bin ich auch nicht ein Mensch, der sagt: Ach, jetzt gefällt es mir richtig, ich trete ein; jetzt gefällt es mir nicht mehr, ich trete aus.
Also, ich bleibe schon dabei. Und ich schreibe auch relativ viel darüber. Ich habe kein Amt in dem Sinne, aber ich äußere mich viel und ich überlasse diese Kirche nicht den - ich will jetzt keine Namen nennen - Hardlinern, die Menschen wie mich nicht wollen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.