KNA: Sie lehren im nun beginnenden Wintersemester ab diesem Freitag als Gastdozent am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Thema ist die Religionspolitik. Haben Sie lange überlegt, das Angebot der Uni Bochum anzunehmen?
Beck: Nein, eigentlich nicht. Ich finde den Perspektivwechsel sehr spannend, vom aktiven Politiker hin zu jemandem, der auf die Politik schaut und Rahmenbedingungen, Motive und Programmatiken untersucht. Nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag freue ich mich auf die geistige Freiheit, die das jetzt mit sich bringt.
KNA: Was werden Sie den Studierenden vermitteln?
Beck: Ich werde aus wissenschaftlicher Perspektive diskutieren, was in der Religionspolitik seit 1990 an wichtigen Themen behandelt und beschlossen wurde. Dazu gehört die Übernahme des Religionsverfassungsrechts für die neuen Bundesländer Anfang der 90er Jahre genauso wie wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu religiösen Fragen wie etwa das sogenannte Kopftuchurteil.
KNA: Die Fragestellungen und Probleme in dem Bereich haben sich in den vergangenen Jahren enorm gewandelt...
Beck: Es gibt da zwei große Impulse: Zum einen gab es in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt Säkularisierungstendenzen und eine Entkirchlichung in einigen Regionen Deutschlands, zum anderen wurde auch die religiöse Landkarte vor allem durch Migration bunter. Es gibt heute viele jüdische und muslimische Gemeinden und Verbände. Das hat zu einer Renaissance der Religionspolitik geführt. Ich möchte mit den Studenten untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
KNA: Sie gelten bei den beiden Kirchen, aber auch bei anderen Religionsgemeinschaften als gut vernetzt. Werden Sie auch religionspolitische Akteure in Ihr Seminar einladen?
Beck: In der Tat. Die Leiter des Katholischen und Evangelischen Büros in Düsseldorf, die für Kontakte zur nordrhein-westfälischen Landesregierung zuständig sind, werden kommen. Die Studenten sollen die Möglichkeit haben, Fragen an die Kirchenvertreter und ihre Arbeit zu richten.
KNA: Haben Sie auch Vertreter des türkisch-muslimischen Dachverbandes Ditib in Deutschland eingeladen, die zuletzt wegen ihrer Nähe zum Erdogan-Regime sehr in die Kritik geraten sind?
Beck: Nein, ich wollte das Seminar nicht überfrachten mit zu vielen externen Gästen. Aber man hätte natürlich auch Vertreter der islamischen Verbände oder des Zentralrats der Juden einladen können.
KNA: Sie haben während Ihrer Zeit als Bundestagsabgeordneter oft die katholische Kirche kritisiert, unter anderem wegen ihrer Haltung gegenüber Homosexuellen. Täuscht der Eindruck, dass Sie in den vergangenen Monaten versöhnlichere Töne angeschlagen haben?
Beck: Das stimmt so nicht. Nach meinem Dafürhalten habe ich immer ein sehr wohlwollendes Verhältnis zur katholischen Kirche gehabt. Was ich gemacht habe, ist, immer wieder Anfragen zu stellen, auch nach dem Verhältnis von grundrechtsorientierter säkularer Rechtsordnung und lehramtlichen Glaubensvorstellungen. Gerade auch wenn die Kirche ihrer eigenen Lehre zur Glaubensfreiheit nicht so recht folgt.
KNA: Gelobt haben Sie die Kirchen für Ihre Unterstützung in der Flüchtlingskrise.
Beck: Ja, da haben die Kirchen, aber auch die jüdische Gemeinschaft Großartiges geleistet. Sie haben uns - ganz theologisch - an unsere kulturellen Wurzeln und Grundlagen erinnert, Verantwortung für den anderen zu übernehmen. "Ein Fremdling bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland": Ganz praktisch haben viele Kirchengemeinden Flüchtlingen geholfen und diese Sätze aus der Thora mit Leben erfüllt. Ohne diese massive Unterstützung hätte der Staat sehr blass ausgesehen.
KNA: Wird man auch zukünftig etwas vom Grünen-Politiker Volker Beck hören?
Beck: Wenn die Partei, aber nicht nur die, auf meine Erfahrungen und Kenntnisse zurückgreifen will, sehr gerne. Aber noch spannender ist für mich jetzt ein gesellschaftliches Wirken jenseits des parteipolitischen Alltagsgeschäfts.
KNA: Was empfehlen Sie Ihren Parteikollegen mit Blick auf die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition?
Beck: Ruhe, Besonnenheit und Standfestigkeit. Alle demokratischen Parteien wissen um die große Verantwortung, jetzt auch bei den untypischen Mehrheitsverhältnissen eine stabile und handlungsfähige Regierung für unser Land zu bilden. Zugleich muss jede Partei auch den programmatischen Kern des Partners respektieren. Bei uns Grünen ist das sicher neben der Nachhaltigkeit und die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte.
Die Einigung der Union in der Flüchtlingsfrage am Wochenende diente nach meiner Einschätzung lediglich dem "face keeping" für die CSU, aber auch das ist in der Politik wichtig. Aber es wird und kann so nicht das Ergebnis der Verhandlungen mit FDP und Grünen sein.
Kardinal Reinhard Marx hat beim Michaelsempfang am vergangenen Dienstag wichtige Thesen zur Flüchtlingspolitik formuliert. Das könnte ein guter Ausgangspunkt für Verhandlungen sein.
Das Interview führte Birgit Wilke.