DOMRADIO.DE: Was war denn Ihr allererster Eindruck, als Sie das Maßnahmenpaket durchgelesen haben?
Prof. Ulrike Kostka (Direktorin der Caritas im Erzbistum Berlin): Als erstes habe ich gedacht, Mensch, das ist wirklich ein mächtiger Entwurf. Da werden wichtige Dinge erreicht. Gleichzeitig sind mir aber auch noch eine Menge Fragen geblieben.
DOMRADIO.DE: Zum Beispiel?
Kostka: Zum einen muss das ja auch alles umgesetzt werden. Da braucht es auch viel Beratung für die Menschen, die dann die Anträge stellen, für Wohngeld zum Beispiel. Ganz praktisch habe ich da drauf geguckt.
Das andere ist die Frage, wie es für Menschen in der unteren Mittelschicht aussieht, Busfahrer zum Beispiel, wo die Partnerin vielleicht als Hilfskraft in einem Altenheim arbeitet? Werden die damit auch erreicht? Das hat mich beschäftigt.
DOMRADIO.DE: Es sind Maßnahmen, die komplizierter nachzuvollziehen sind als andere. Einfach ist der Energiekosten-Zuschuss für Rentner und Studierende von 300 beziehungsweise 200 Euro. Klingt das für Sie gut?
Kostka: Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt, dass diese beiden Gruppen jetzt auch mit einbezogen worden sind. Ein einmaliger Zuschuss ist ja auch erst mal gut.
Auf der anderen Seite werden sich die Energiepreise und auch die Inflation ebenfalls im Jahr 2023 bemerkbar machen. Dementsprechend stellen wir uns schon die Frage, wie die Menschen auf Dauer entlastet werden. Kommt da noch mehr? Wie sieht es mit den Wohngeld-Beziehern aus? Die Gruppe soll ja erweitert werden. Da gibt es noch viele Fragen.
DOMRADIO.DE: In diesem Paket ist sehr viel von "mehr" zu lesen. Mehr Kindergeld, mehr Heizkostenpauschale und mehr Wohngeld. Wo sind denn da die Herausforderungen beim Wohngeld?
Kostka: Einmal wird spannend sein, wo denn da überhaupt die Grenzen sind? Wer wird in Zukunft Wohngeld bekommen? Denn die Gruppe soll von 700.000 auf zwei Millionen Menschen vergrößert werden.
Dann ist da der ganz praktische Punkt: Viele Menschen werden überhaupt erstmalig Anträge stellen müssen. So ein Wohngeldantrag ist machbar. Aber viele Menschen werden dafür Begleitung und Beratung brauchen. Deswegen sind wir der Auffassung, man kann nicht nur über die Höhen von irgendwelchen Summen reden, sondern muss auch aufzeigen, wie es praktisch funktioniert.
Deswegen glauben wir, dass die Ämter ordentlich aufstocken müssen, also mehr Personal brauchen. Auch unsere Beratungsstrukturen müssen ausgebaut werden, denn viele Menschen werden für diese Anträge Hilfe brauchen. Oder wenn sie nicht davon erreicht werden, wenn zum Beispiel eine Jahres-Nebenkostenabrechnung kommt, brauchen die auch Beratung, wenn Sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Deswegen brauchen wir also aufgestockte Ämter, mehr Personal und gleichzeitig brauchen wir auch einen Ausbau der Beratungsstrukturen.
DOMRADIO.DE: Wie ist es mit der Strompreisdeckelung. So wie sie jetzt geplant ist, entlastet sie Menschen mit geringem Einkommen?
Kostka: Ich denke schon, dass es zu einer Entlastung führen kann. Wie das jetzt ganz konkret praktisch funktionieren soll, da bin ich auch mal gespannt.
Aber das andere ist, dass wir ganz dringend auch eine Gaspreisdeckelung brauchen. Denn bei den Energiekosten sind die Heizkosten der viel größere Anteil. Da ist jetzt eine Kommission eingesetzt worden. Ich hoffe, dass die es wirklich erreichen, dass der Gaspreis gedeckelt wird. Wir erleben jetzt schon, dass Abschläge erhöht werden, vielleicht 150 Euro für eine Familie. Dann gehen die Abschläge hoch auf bis zu 500 Euro. Das sind ganz, ganz große Sprünge.
Keiner kann sagen, wie die sich entwickeln. Deswegen ist es wichtig, dass da eine Bremse eingezogen wird und ich hoffe sehr, dass das auch erfolgt.
Also, wir sind ganz klar für eine Gaspreisdeckelung hier als Caritas im Erzbistum Berlin.
DOMRADIO.DE: Gibt es sonst Punkte, mit denen Sie ganz unzufrieden sind oder die Ihnen fehlen?
Kostka: Bei der Gruppe der Menschen mit einem geringeren mittleren Einkommen muss geguckt werden, wie sich diese Maßnahmen auswirken. Denn was wirklich nicht passieren darf, ist, dass wir eine Armutspirale haben, dass Menschen neu in Armut kommen. Da muss man genau die verschiedenen Instrumente überprüfen, ob diese Menschen damit erreicht werden. Das ist wichtig.
Wir brauchen zudem einen Ausbau der Beratungsstrukturen. Bei den ganzen sozialen Trägern gibt es Nachholbedarf. Also zum Beispiel wir mit unseren Beratungsstellen oder auch die Kitas, die ganzen sozialen Einrichtungen haben auch steigende Energiekosten. Die sind für uns nicht bezahlbar.
Deswegen ist es wichtig, dass auch soziale Einrichtungen unterstützt werden, nicht nur durch einmalige Zahlungen, sondern längerfristig. Das gilt natürlich genauso auch für mittlere und kleinere Unternehmen. Also der Einzelhändler mit seinem kleinen Laden oder ein Restaurantbesitzer, die brauchen auch Unterstützung, weil diese Energiepreise einfach nicht zu stemmen sein werden.
Deswegen ist es ganz wichtig, die auch einzudämmen. Gleichzeitig braucht es natürlich ganz viele Anreize, dass trotzdem von allen Energie gespart wird. Denn der Klimaschutz muss mit dem Schutz der sozialen Gerechtigkeit an oberster Stelle stehen.
Das Interview führte Heike Sicconi.