DOMRADIO.DE: "Eins mehr!" ist eine Aktion der Hilfsinitiative "Laib und Seele". Es werden Lebensmittelspenden gesammelt. Dafür können Berliner selber entscheiden, ob sie ein Produkt mehr kaufen. Wie geht das genau?
Sabine Werth (Vorsitzende und Gründerin der Berliner Tafel): Wir machen diese Aktion seit 20 Jahren. Dafür sammeln wir zwei Wochen vor Ostern, zwei Wochen vor Erntedank und zwei Wochen vor Weihnachten haltbare Lebensmittel in den Supermärkten. Das heißt, alle Kundinnen und Kunden können ein Produkt mehr kaufen und es nach dem Bezahlen an uns spenden. In diesem Fall ist es so, dass wir an diese Aktion nur eine Woche lang machen, das heißt nur bis zum 7. Dezember.
Unsere Ehrenamtlichen haben gesagt, dass sie es zum einen personell nicht schaffen, zum anderen wollen sie, dass die Armutsbetroffenen, die zu ihnen in die Ausgabestellen kommen, auch wirklich diese Artikel auch noch dazu bekommen. Deshalb ist die Aktion dieses Mal nur eine Woche lang.
DOMRADIO.DE: "Eins mehr!" heißt die Aktion. Aber es darf natürlich gerne auch mehr als eins mehr sein, oder?
Werth: Sehr gerne, natürlich.
DOMRADIO.DE: Wie kommen die Lebensmittel an die bedürftigen Menschen?
Werth: Die Aktion wird in 20 verschiedenen Märkten von den Ehrenamtlichen von "Laib und Seele" durchgeführt. Sie sammeln ein, was gespendet wird, nehmen es direkt mit in die Ausgabe der Tafel und dort wird es dann verteilt. Zu unseren 49 Ausgabestellen in Berlin kommen noch sieben sogenannte Pop-ups. Das sind Übergangsausgabestellen.
Da machen wir spezielle Lebensmittel-Beutel, die verteilt werden an alle diejenigen, die in den regulären Ausgabestellen nichts bekommen haben, weil es dann doch zu wenig Waren für die vielen Menschen waren. Wir haben immerhin rund 76.000 Kontakte pro Monat.
DOMRADIO.DE: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Aktion in den letzten Jahren gemacht? Sind die Berliner spendabel?
Werth: Sie sind unheimlich spendabel. Darüber sind wir immer sehr glücklich. Es ist natürlich auch eine schöne Aktion, denn ich kann mich selber entscheiden, ob ich das Pfund teuren Kaffee kaufe oder das Salz, das nur ein paar Cent kostet. Diese Freiheit ist einfach schön und deshalb machen alle wahnsinnig gerne mit.
Außerdem haben die Leute das Gefühl, endlich mal aktiv die Tafel unterstützen zu können und nicht nur Geld zu spenden. Auch wenn das für uns natürlich auch wichtig ist. Wir existieren ja nur durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Aber hier haben Sie das Gefühl, direkt und persönlich was gespendet zu haben.
DOMRADIO.DE: Bei Ihrer Arbeit in der Tafel sind Sie immer auf Lebensmittelspenden angewiesen, die Ihnen der Einzelhandel zur Verfügung stellt. Wie ist das Verhältnis der Spenden und der Bedürftigen? Geht das immer weiter auseinander?
Werth: Die Schere geht in unserer Gesellschaft gewaltig auseinander. Das merken wir natürlich. Speziell seit der hohen Inflation, die mit dem Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine zusammenhängt. Seitdem haben wir einen enormen Zuwachs an Menschen, die von der Armut betroffen sind und zu uns kommen. So geht es nicht nur den Berliner Tafeln, sondern allen Tafeln in Deutschland, immerhin 975 Tafeln insgesamt.
Im Grunde ist die Spendenbereitschaft hoch, aber es wird anders disponiert heutzutage. Die Geschäfte arbeiten viel mit KI. Das heißt, dass sie das Kundenverhalten ganz genau abschätzen können. So bleibt nicht mehr so viel übrig. Das merken wir als Tafeln.
Das Interview führte Carsten Döpp.