Bestseller-Autorin hält uns alle für Noah

Die Sintflut ist schon da

Noah führt schon länger die Liste der beliebtesten männlichen Vornamen in Deutschland an. Seine Geschichte und die der Arche inspiriert bis heute, auch die Autorin Tanja Kinkel. Ihr neues Buch heißt: Wir alle sind Noah.

Bestseller-Autorin Tanja Kinkel / © Thomas Boisai (privat)
Bestseller-Autorin Tanja Kinkel / © Thomas Boisai ( privat )

DOMRADIO.DE: Ausgangspunkt Ihrer Überlegung ist Noah, der auf Gottes Geheiß auf seiner Arche die Schöpfung durch die Fluten der Sintflut rettet. Was bedeutet diese alte biblische Geschichte für Sie persönlich? 

Tanja Kinkel (Bestseller-Autorin): Es ist eine sehr gute Metapher für etwas, was eben nicht nur etwas in Bezug auf die Vergangenheit ausdrückt, sondern auch auf die Zukunft und vor allem auch eine Aufforderung ist. Für uns ist deswegen auch der Titel meines Buches über Noah eine Aufforderung, selbst zu handeln, sich umzuschauen, an welcher Arche kann ich mit bauen? Denn die Sintflut ist nicht irgendetwas vage in der Vergangenheit oder vage in der Zukunft, sie ist schon da. 

Anja Kinkel

"Denn die Sintflut ist nicht irgendetwas vage in der Vergangenheit oder vage in der Zukunft, sie ist schon da."

DOMRADIO.DE: Sie haben es angedeutet, aber doch noch mal auf den Punkt. Ihr Buch heißt: "Wir alle sind Noah. Über Menschen, Tiere und unsere Verantwortung für die bedrohte Erde". Wie genau meinen Sie das? 

Kinkel: Ich meine, dass wir die Geschichte von Noah nicht so verstehen sollten, dass es ein paar Auserwählte gibt, die uns vielleicht zu Hilfe kommen oder im Gegenteil ertrinken lassen. Wir sind vielmehr alle aufgefordert, uns selbst umzuschauen. Wie können wir uns und anderen dabei helfen? Wie können wir mit der Schöpfung umgehen? Auf eine Weise, die sicherstellt, dass wir wie Noah Kinder haben, die ebenfalls an der Schöpfung noch teilhaben können?

DOMRADIO.DE: Deutlich weniger bekannt als die Geschichte von der Arche und der Sintflut ist das, was danach kommt, der Bund Gottes mit Noah und seinen Nachkommen und der Regenbogen als Zeichen dafür. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus für heute? 

Kinkel: Ich glaube, Geschichten über Katastrophen verfangen immer sehr viel mehr als Geschichten über Wiederaufbau. Wiederaufbau ist nicht etwas, was eine klare Storyline hat, wie wir heute auf Neudeutsch sagen würden: Große Katastrophe, Happy End, Ende. 

Wir brauchen uns keine Gedanken mehr zu machen, sondern eine Wiederaufbaugeschichte beinhaltet immer viel Arbeit. Es bedeutet Kompromisse. Es gibt kein klares Endziel, sondern wir leben jeden Tag mit der neuen Herausforderung, mit dem Aufbau weiter zu machen, mit der Zusammenarbeit, auch mit Menschen, die wir vielleicht nicht so toll finden. Es ist schwieriger, aber es ist natürlich auch unendlich wichtig, gerade weil es voraussetzt, dass es eine Zukunft gibt, für die wir arbeiten. 

DOMRADIO.DE: Im Moment haben - hier in Deutschland zumindest - Themen wie die Migrations- und Asylpolitik, den Klimawandel und den dringend gebotenen Klimaschutz wieder aus dem Bewusstsein vieler verdrängt. Was zeigt das in Ihren Augen? 

Kinkel: Das zeigt auch das - und ich will gar nicht sagen, dass es für mich nicht so ist - einfache Geschichten sich zunächst einmal viel schneller verfangen. Wenn man Leuten sagt, ihr fühlt euch nicht gut zurzeit, es ist alles im Argen, aber hier gibt es eine ganz einfache Lösung, das hier sind die Bösen. Wenn wir nur das tun, wenn wir diese Menschen ausschließen sowie diese paar Politiker, dann ist alles wunderbar. Ihr braucht selbst überhaupt nichts zu machen. An euch ist alles toll. 

Das verfängt natürlich viel mehr, als zu sagen, es gibt keine eindeutig Guten und Bösen in der Geschichte, sondern wir sind alle gefragt, selbst daran mitzuarbeiten, dass unsere Kinder eine Zukunft haben. Das ist grau, das ist nicht schwarz-weiß. Es ist viel schwieriger, es verfängt weniger gut. 

Man fühlt sich emotional viel wohler, wenn man einen klaren Schurken präsentiert kriegt, den man für alles Übel verantwortlich machen kann, als wenn man in den Spiegel schaut und sagt, was kann ich machen, um es besser zu machen? Das ist viel unbequemer. Natürlich verfängt das weniger gut. 

Dabei wird natürlich übersehen, dass angenommen, man würde wirklich sämtliche derzeitigen Asylbewerber ausschließen, es dennoch einem Klimawandel geben würde und damit die Bewegung von Völkern, die nur in wenigen und wenigen afrikanischen Ländern leben können. 

Anja Kinkel

"Wenn man nichts gegen den Klimawandel tut, dann tut man auch nichts für eine der zentralen Gründe für Migration."

Selbst die härtesten Klimaleugner könnten hoffentlich nicht umhin zuzugeben, dass mit steigenden Temperaturen mehr und mehr Gegenden unbewohnbar werden. Das heißt, wenn man nichts gegen den Klimawandel tut, dann tut man auch nichts für eine der zentralen Gründe für Migration. Es ist alles miteinander verbunden. 

Aber wie gesagt, es ist viel schwieriger, es ist viel unbequemer, als alles zu externalisieren und einfache Lösungen zu präsentieren, auch wenn sie vollkommen unrealistisch sind. Sündenböcke, und das zeigt die Bibel durchaus auch, verfangen immer viel besser als Aufforderung, selbst was zu tun.

DOMRADIO.DE: Angesichts all der Hiobs-Nachrichten, um im biblischen Bild zu bleiben, aus der ganzen Welt erscheint es vielen vielleicht sinnlos, selbst Plastik zu sparen, den eigenen Fleischkonsum einzuschränken oder zum Beispiel mit dem Rad statt dem Auto zu fahren. Was sagen Sie denen? 

Anja Kinkel

"Natürlich kann ich persönlich nicht die Welt retten, aber ich kann meinen Teil dazu beitragen."

Kinkel: Ich sage, dass ich nicht an solche Bilder glaube wie, das ist eh nur ein Wassertropfen auf dem heißen Stein. Denn wir reden nicht von Wassertropfen, wir reden von Menschen, von Tieren, von einer Umwelt. Natürlich kann ich persönlich nicht die Welt retten, aber ich kann meinen Teil dazu beitragen. 

Ein Wandel tritt dann ein, wenn mehr und mehr Menschen handeln. Als ich in den 80er Jahren ein Teenager war, da ging das zum Beispiel mit der Anschnallpflicht erst los. Die meisten Menschen haben das für eine Zumutung und Einschränkung der persönlichen Freiheit gehalten und auch nicht geglaubt, dass es irgendeinen Unterschied machen kann. Heute ist es selbstverständlich, sich anzuschnallen und die Zahl von Toten und Schwerverwundeten bei Unfällen ist entsprechend zurückgegangen. 

Wandlung ist möglich, aber nicht, wenn man meint, das ist alles sinnlos. Außerdem glaube ich, dass man es nicht nur negativ zu sehen braucht. Ich verzichte auf etwas wie zum Beispiel Fleisch, sondern im Gegenteil auch positiv sehen kann. Ich begebe mich auf eine Entdeckungsreise. Was kann ich essen, was mir total gut schmeckt und was kein Fleisch ist? Auch ich selbst bin keine hundert prozentige Vegetarierin. Ich esse zwar selten Fleisch, aber ich esse es gelegentlich. 

Ich glaube nicht, dass jeder dazu aufgefordert ist, sofort alles zu tun. Aber man kann sich auf den Weg begeben und wie gesagt, auf eine Entdeckungsreise gehen, herauszufinden, was kann ich nehmen, was nicht Plastik ist? Was kann ich rausfinden, was mir schmeckt, was nicht unbedingt aus großen Ställen rauskommt? Wer weiß, vielleicht finde ich dabei nicht nur verschiedene Arten, mich zu ernähren, sondern auch Freunde, neue Bekannte. Es ist nicht so, dass ich dabei allein zu bleiben brauche. 

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Quelle:
DR