DOMRADIO.DE: Derzeit trifft sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu seiner Vollversammlung in München. Generalsekretär Marc Frings hat an diesem Freitag den Vorwurf zurückgewiesen, das ZdK habe den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche bislang nicht lautstark genug verurteilt. Das ZdK betreibe "massive Lobbyarbeit" im Sinne der Missbrauchsbetroffenen, sagte er in einem Interview. Tut es das - aus Sicht eines Betroffenen?
Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirates bei der Deutschen Bischofskonferenz): Das ist schon eine steile These, wenn man sich vor Augen führt, dass das ZdK als Dachorganisation der katholischen Laien in Deutschland auch erst seit 2019/2020 deutlich Position für Betroffene einnimmt. Da war vorher relative Leere.
Weder die Deutsche Bischofskonferenz, noch das ZdK, das die Laien in die Synodalversammlung entsandt hat, waren in der Lage, Betroffene mit Sitz und Stimme in dieser Versammlung zu installieren. Es gibt eher zufällig zwei Betroffene, die als Einzelpersönlichkeiten in der Vollversammlung des ZdK engagiert sind, das sind Johanna Beck aus dem Betroffenenbeirat und ich. Aber das war nicht das Ergebnis einer strukturell verankerten Betroffenenarbeit.
DOMRADIO.DE: 2010 wurden Fälle öffentlich, spätestens seit der MHG-Studie 2018 ist das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche bekannt. Warum waren die Belange der Betroffenen im ZdK offenbar zunächst kein großes Thema?
Norpoth: Das ist ein mehrdimensionales Problem: Ein Punkt ist sicherlich, dass innerhalb des ZdK und vor allem auch im Präsidium lange, auch 2018 noch, die Meinung vertreten wurde, dass die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche eine Sache der Bischöfe sei. Da wurde gar keine Verantwortung gesehen.
Es ist natürlich auch keine angenehme Situation, sich damit auseinanderzusetzen, dass eigene Strukturen in der Kirche diese Gewalt ermöglicht oder begünstigt haben, wie es die jüngsten Studien in Münster oder Essen gezeigt haben.
DOMRADIO.DE: Die ZdK-Vorsitzende Irme Stetter-Karp hat bei der aktuellen Vollversammlung an diesem Freitag ihr Vorgehen verteidigt, die Ergebnisse der jüngsten Missbrauchsstudie in Freiburg nicht kommentiert zu haben: "Wir äußern uns in der Regel nicht zu den Vorgängen in einzelnen Bistümern", sagte sie. Ist das richtig?
Norpoth: Bei 27 Einzelstudien mit 27 unterschiedlichen methodischen Ansätzen kann ich das nachvollziehen. Die Erkenntnisse ähneln sich ja auch im Kern. Ihre Aussage stand im Kontext der Freiburger Studie. In diesem speziellen Fall hätte ich mir schon eine deutlichere Positionierung im Hinblick auf den ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch gewünscht, der zwar auf DBK-Ebene Maßnahmen zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt mitbeschlossen hat, aber das in seinem eigenen Bistum alles konterkariert hat. Angesichts der bundesweiten Bedeutung dieser Studie und dieser Persönlichkeit hätte ich mir schon eine deutlichere Haltung gewünscht.
DOMRADIO.DE: Sie hat ihn dann später in einem Interview einen "Heuchler" genannt. Aber offensichtlich tun sich beim Thema Aufarbeitung sowohl die Bischöfe als auch die Laien schwer. Gibt es da substantiell Unterschiede?
Norpoth: Ja, natürlich gibt es einen Unterschied, denn die Straftaten sind überwiegend von Klerikern begangen worden. Hier müssen die Bischöfe endlich zur Aufarbeitung eines jeden bekannten Missbrauchsfalles beitragen und zu einer Anerkennungsleistung kommen, die ihren Namen auch verdient und Ausdruck einer inneren Haltung ist. Das, was wir im Moment in diesem intransparenten UKA-Verfahren erleben, kann nur der erste Schritt auf einem langen Weg sein.
Die Verantwortung der Laien haben vor allem die Studien aus Münster und Essen aufgezeigt, indem Pfarrgemeinden ein tätersicheres Umfeld geschaffen haben. Es galt der alte Satz: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf", "Er ist doch so ein netter Priester…" oder "Der Kaplan kann so etwas nicht getan haben!": Den Opfern ist vor Ort nicht geglaubt worden. Und wenn Sie ein Klima schaffen, in dem sich der Täter sicher sein kann, dass sein Dienstgeber keine Maßnahmen ergreift und er vom Sozialsystem seiner Pfarrgemeinde geschützt wird, dann tragen auch Laien in den Gemeinden Verantwortung für dieses täterfreundliche Klima, für eine Situation, in der Opfern nicht geglaubt wurde.
DOMRADIO.DE: Welche Beteiligung der Betroffenen ist den beim Synodalen Ausschuss geplant?
Norpoth: Ich bin als Einzelpersönlichkeit des ZdK in diesen Ausschuss gewählt worden, aber ich betrachte mich explizit nicht als Vertreter der Betroffenen, weil ZdK und DBK es nicht geschafft haben, die Stimme der Betroffenen - also der Grund, warum sich die Kirche in Deutschland auf diesen Reformweg begeben hat - strukturell zu verankern. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass in dem alt eingeübten Prozedere des Verbändekatholizismus die gewünschte Homogenität das Thema in seiner Schärfe und in der direkten Konfrontation lieber ausgeblendet würde. Aber an dieser Diskussion kommen wir nicht vorbei und ich gehe davon aus, dass in dem darauffolgenden Synodalen Rat eine solche Verankerung zwingend vorhanden sein muss, weil es sonst dazu keine Zustimmung geben wird.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.