Die Beschädigung eines Fensters der Synagoge in Hannover am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hat Empörung und Entsetzen ausgelöst. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach am Donnerstag von einem Anschlag. Ein Polizeisprecher sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass der Staatsschutz in alle Richtungen ermittele. Ob es sich tatsächlich um einen Anschlag handele, sei unklar. Menschen wurden den Angaben zufolge nicht verletzt.
Medienberichten zufolge war während des Feiertagsgottesdienstes am Mittwochabend ein Stein oder ein harter Gegenstand durch ein Fenster an der Frauenempore geworfen worden. Die jüdische Gemeinde wird mit den Angaben zitiert, dass sich 150 bis 200 Menschen in der Synagoge zum Beten versammelt hätten, um den Abschluss des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur zu feiern. Verletzt wurde niemand.
Loch in der Größe eines DIN-A4-Blattes
Gegen 19 Uhr hätten die Anwesenden einen Schlag an einem Fenster an der Frauenempore gehört, sagte der Vorsitzende der Gemeinde und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, dem epd. Etwa in dortiger Kopfhöhe sei ein Gegenstand eingeschlagen - insgesamt in sechs Metern Höhe. Im Bleiglas klaffe dort jetzt ein Loch in der Größe eines DIN-A4-Blattes. Der Gegenstand konnte noch nicht gefunden werden. Vermutlich sei er zurück ins Freie geprallt.
"Das ist schockierend für die Gemeinde. Es ist das erste Mal in Hannover, dass so etwas passiert", sagte Fürst. Die Anwesenden seien zunächst sehr aufgeregt gewesen, hätten den Gottesdienst dann aber noch zu Ende gefeiert. "Es spricht viel dafür, dass jemand über den Zaun geklettert ist", sagte Fürst. Diesen zu überwinden, koste einiges an Kraft: "Das können keine Kinder gewesen sein."
"Zeichen für den wiedererstarkten Judenhass"
Die jüdische Gemeinde in Deutschland sei schockiert, so Schuster. Der Anschlag wecke Erinnerungen an das Attentat von Halle vor drei Jahren. "Er ist ein weiteres Zeichen für den wiedererstarkten Judenhass in Deutschland in den letzten Monaten und Jahren und damit nicht zusammenhangslos. Ich verurteile ihn aufs Schärfste." Dass Juden im Jahr 2022 in Deutschland nicht ohne Furcht zum Gebet gehen könnten, sei beschämend.
Dass so etwas kurz vor den Landtagswahlen in Niedersachsen passiere, müsse ein erneutes Signal an die Politik sein, den Kampf gegen Antisemitismus und Radikalismus jeder Art niemals zu vernachlässigen. "Dazu gehört leider immer noch der Schutz jüdischer Einrichtungen. Offen ist die Frage, wie der oder die Täter auf das Gelände der Synagoge gelangen konnten", erklärte Schuster. Mut gäben derzeit zahlreiche Solidaritätsbekundungen.
Bischof Wilmer: "Wer Juden angreift, greift uns auch an."
Der Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer kritisierte den Anschlag auf die Synagoge in seinem Bistum scharf. Der Anschlag sei "schrecklich und mir vollständig unbegreiflich". Außerdem spricht Wilmer von einer "offensichtlich feindseligen Absicht". Bischof Wilmer forderte eine freie und ungestörte Religionsausübung und solidarisierte sich mit "Unsere jüdischen Schwestern und Brüder", in dem er sagt: "Wer Juden angreift, greift uns auch an.“
Auch der evangelische Landesbischof Ralf Meister äußerte sich entsetzt und beschämt. "Unsere jüdischen Geschwister mussten erleben, wie ihre Jom-Kippur-Feier gewaltsam gestört wurde." Dass Jüdinnen und Juden in der Ausübung ihrer religiösen Praxis bedroht würden, sei unerträglich.
Politik verstärkt Sicherheitseinrichtungen
Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) sprach von einem "Angriff", bei dem es nicht nur um ein beschädigtes Fenster gehe. "Es geht hier um einen Eingriff in den sensibelsten Kern der Religionsausübung." Der Vorfall sei ein "hässliches Zeichen für den zunehmenden Antisemitismus in unserem Land". Dem werde sich Niedersachsen auch weiterhin entgegenstemmen.
Nach dem Anschlag von Halle hatten sich die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen mit der Landesregierung nach langen Verhandlungen darauf verständigt, die Sicherheitseinrichtungen zu verstärken. Die Arbeiten an der Synagoge in Hannover sollen demnächst beginnen.
Erinnerung an Halle
Vor drei Jahren hatte an Jom Kippur ein Rechtsextremist einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Am 9. Oktober 2019 hatte der bewaffnete Mann versucht, in das Gebäude einzudringen, um dort ein Massaker anzurichten. Zu der Zeit waren mehr als 50 Menschen dort versammelt. Er scheiterte jedoch an einer Sicherheitstür. Als dem Täter das Eindringen nicht gelang, erschoss er kurz darauf in der Nähe der Synagoge zwei Menschen und verletzte zwei weitere. Der Täter ist inzwischen unter anderem wegen Mordes verurteilt.