Betroffene sexualisierter Gewalt haben bisher 2,62 Millionen Euro vom Bistum Münster in Anerkennung ihres Leids erhalten. Das erklärten der Interventionsbeauftragte des Bistums, Peter Frings, und sein Mitarbeiter Stephan Baumers am Freitag vor Journalisten in Münster. Die Schilderungen von Betroffenen seien "sehr bewegend", sagte Frings. Baumers nannte es "erschütternd, was passiert ist und wie weggeschaut wurde". Mehr als 90 Prozent der geschilderten Fälle lägen Jahrzehnte zurück.
Plausibilität wird geprüft
Die Zuständigen im Bistum würden den Betroffenen glauben, betonte Frings. Erfahrungen sexualisierter Gewalt seien so einschneidend, dass sich niemand melde, "um Eindruck zu schinden". Gleichwohl werde geprüft, ob Schilderungen plausibel seien - also etwa, ob der Beschuldigte zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort eingesetzt war.
Etwa die Hälfte der Gesamtsumme zahlte das Bistum laut Angaben zwischen 2010 und 2020 aus. In dieser Zeit erhielten Betroffene in der Regel 5.000 Euro. Anfang 2021 setzten die deutschen Bischöfe ein neues Verfahren in Kraft. Angelehnt an Urteilen staatlicher Gerichte zu Schmerzensgeld sind damit Zahlungen von bis zu 50.000 Euro möglich, in Einzelfällen mehr. Menschen, die bereits Geld erhielten, können eine Nachzahlung beantragen.
Zahlen der Unabhängigen Kommission
212 Anträge nach dem neuen System lägen dem Bistum vor, in etwa 75 Prozent der Fälle gehe es um eine Nachzahlung, hieß es. Die bundesweite Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen habe bereits über 97 Anträge entschieden; diese machten die zweite Hälfte der ausgezahlten Summe aus.
Kurz vor dem Pressegespräch hatte die Universität Münster angekündigt, ihre Studie zu sexualisierter Gewalt im Bistum am 13. Juni vorzulegen. Frings äußerte die Erwartung, dass sich danach weitere Betroffene melden. Seine Stelle arbeite weisungsunabhängig. Im Fall noch lebender Beschuldigter würden Betroffene "offensiv darauf hingewiesen", Strafanzeige stellen und sich einen Anwalt nehmen zu können.
Beschuldigte Geistliche erhielten ebenso den Rat, sich anwaltlich beraten zu lassen. "Die Zeit, dass sich das Bistum vor einen Beschuldigten stellt und den Fall für ihn regelt, ist vorbei", so Frings.
Studie im Auftrag des Bistums
Seit 2019 untersucht ein Forschungsteam um die Historiker Thomas Großbölting und Klaus Große Kracht im Auftrag des Bistums sexuellen Missbrauch in der Diözese zwischen 1945 und 2020. Die Verbrechen seien "in völliger Unabhängigkeit" aufgearbeitet worden, erklärte Bischof Felix Genn. Die Forschenden hätten "direkten und uneingeschränkten Zugang zu allen Akten" erhalten. Einblick in die Studie, die das Bistum finanziert, werde er selbst erst am 13. Juni haben. Voraussichtlich am 17. Juni werde er sich öffentlich äußern.
Bereits 2020 legten die Forschenden erste Zwischenergebnisse vor. Demnach zeigten frühere Bistumsleiter große Milde für Täter sowie "massives Leitungs- und Kontrollversagen". Die Bischöfe hätten moralisch, juristisch und kirchenrechtlich nicht korrekt gehandelt.