Bürgerrechtler Andrej Sacharow vor 100 Jahren geboren

Bombenbauer mit Gewissen

Andrej Sacharow war vieles: Physiker, Atomforscher, Menschenrechtsaktivist, Dissident, Nobelpreisträger. Bis heute erinnern Preise an sein Engagement und Genie. Vor 100 Jahren wurde Sacharow in Moskau geboren.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Andrej Sacharow / © UPI (dpa)
Andrej Sacharow / © UPI ( dpa )

Eines war Andrej Sacharow nicht: eindimensional. Vom "Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe" wurde er zum Verfechter von Abrüstung und dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Vom "Helden der Sozialistischen Arbeit" entwickelte er sich zum Kämpfer für Bürger- und Menschenrechte sowie Vorkämpfer einer Demokratisierung seines Landes - und damit zum Staatsfeind. Am 21. Mai 1921 wurde Andrej Dmitrijewitsch Sacharow in Moskau geboren; ein Physiker, Atomforscher, Menschenrechtsaktivist und Dissident.

Sacharow war ein Mann der Überzeugung. Religion gehörte nicht dazu. Überzeugt war er von der Entwicklung sowjetischer Nuklearwaffen. Nur ein Gleichgewicht zwischen der UdSSR und den USA im Wettrüsten könne beide Seiten von einem Krieg abhalten: Aufrüstung im Interesse des Friedens. 20 Jahre, von 1948 bis 1968, stellte er sein wissenschaftliches Genie in den Dienst des geheimen Nuklearprogramms seines Landes - für den Patrioten eine Gewissensfrage.

Warnte vor einem Vernichtungskrieg

Friedliche Nutzung der Kernkraft und Abschreckung durch nukleares Gleichgewicht sind mit dem Gewissen des Forschers vereinbar. Nicht so die radioaktive Kontamination, die mit Atomwaffentest einherging. Das unsichtbare Tötungspotenzial wühlt ihn auf.

Ab 1957 habe er sich "für das Problem durch nukleare Explosionen verantwortlich" gefühlt, schreibt er in seinen Lebenserinnerungen. Sacharow warnt vor weiteren Tests. 1963 kommt es zu einem Abkommen über ein Kernwaffenversuchsverbot in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser.

Sacharow zweifelt weiter. 1968 veröffentlicht er sein "Manifest über Fortschritt, Koexistenz und geistige Freiheit", in dem vor einer Gefahr eines totalen Vernichtungskriegs warnt. Gebannt werden könne diese Gefahr nur durch weltweite Zusammenarbeit über nationale und ideologische Grenzen hinweg.

Für Menschenrechte und Demokratie

Genie und Überzeugung bringen dem Mann, den Zeitgenossen als sanft, zurückgezogen und introvertiert beschreiben, Höhen und Tiefen. Stalinpreisträger, mit 32 jüngstes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied im Lehrkörper von acht Universitäten, zweifacher Träger des Lenin-Ordens.

Doch Sacharow äußert nicht nur Zweifel am Atomprogramm seines Landes, er setzt sich auch zunehmend für Dissidenten ein, fordert eine Demokratisierung der Sowjetunion. 1970 gründet er ein Komitee zur Durchsetzung der Menschenrechte.

Seit 1970 sei der Kampf für Verfolgte und für Menschenrechte an erste Stelle seines Wirkens getreten, sagt Sacharow rückblickend. Für die Regierung eine sich steigernde Provokation.

Friedensnobelpreis 1975

"Für seinen Kampf für Menschenrechte in der Sowjetunion, für Abrüstung und Kooperation zwischen allen Nationen" wird Sacharow 1975 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sacharow selbst verfolgt die Zeremonie am Radio. Die Reise nach Oslo war ihm untersagt worden. Seine Frau Jelena Bonner nimmt die Auszeichnung für ihn entgegen.

Mit seinem Protest gegen den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan 1979 ist das Maß voll. Am 22. Januar 1980 verhaftet die sowjetische Führung Sacharow auf offener Straße und schickt ihn ohne Prozess in die für Ausländer verbotene Stadt Gorki.

Alle Auszeichnungen und Ehrentitel werden ihm aberkannt. Fast sieben Jahre lebt Sacharow dort in Isolation. Er schreibt seine Autobiografie. Dreimal soll der sowjetische Auslandsgeheimdienst KGB sein Manuskript gestohlen haben. Sacharow schreibt ein viertes Mal.

Berater einer neuen Verfassung

Später wird er sich an den 15. Dezember 1986 erinnern. In dieser Nacht habe man ihm "ganz unerwartet ein Telefon installiert". Einen Tag später klingelt der Apparat. Michail Sergjewitsch Gorbatschow bittet ihn, nach Moskau zurückzukehren. Die Verbannung ist aufgehoben.

Seinen Einsatz für Menschenrechte setzt Sacharow nach der Rückkehr nach Moskau fort. Er fordert die Freilassung aller politischen Gefangenen, gründet die Bürgerrechtsbewegung Memorial und nimmt als Parlamentsabgeordneter an den Beratungen zu einer neuen Verfassung teil.

Am 14. Dezember 1989 stirbt Andrej Sacharow an einem Herzinfarkt. Vier Preise in den USA, Europa, Norwegen und Russland tragen heute seinen Namen und erinnern an seinen mutigen Einsatz und die wissenschaftliche Brillanz.


Quelle:
KNA