DOMRADIO.DE: Was möchten Sie mit dem Motto der diesjährigen Diaspora-Aktion "Mit Dir zum Wir" ausdrücken? Wer ist das Dir? Wer das Wir?
Monsignore Georg Austen (Generalsekretär des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken): Ich glaube, es ist hochaktuell. Wir Menschen sind Beziehungswesen. Wir leben von einer Gemeinschaft, die uns trägt und die uns hält. Das zeigt uns nicht nur die Corona-Pandemie, sondern all das, was uns im Moment herausfordert an Krisen. Ohne das Gegenüber, ohne die Gemeinschaft geht es nicht.
Das "Wir" ist ja auch ein Markenzeichen unseres christlichen Glaubens. Erst durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus, aus der wir leben, durch die Gemeinschaft des Glaubens, wo wir uns gegenseitig bestärken, den Glauben feiern und in den Dialog treten, wird unser Glaube lebendig, also das "wir". Und wir möchten ermutigen, auch eine Willkommenskultur leben zu lassen und auch ein Zeichen der Solidarität zu setzen.
Mit dem "Dir" ist jeder gemeint, ich und du – wir. Es kommt auf dich an und das merke ich gerade in der Diaspora, wo ich oftmals in der Minderheiten-Situation lebe. Also wir brauchen dich, aber du kannst auch durch uns Orientierung und Halt finden in unserer Gemeinschaft und wir können in die Welt hinein wirken. Aber mit dem "Dir" ist auch gemeint: mit dir, Gott. Wir wollen mit dir, dem Gegenüber, eine Gemeinschaft, eine Kirche, eine Weltkirche bilden, keine Nationalkirche. Deswegen ist dieses Motto auch so hochaktuell.
DOMRADIO.DE: Wir sprechen in einem Moment vieler Krisen: Krieg, Pandemie, Klimawandel. Da ist es vermutlich nicht so leicht, Menschen davon zu überzeugen, für andere zu spenden. Sie werben aber um Unterstützung für Glaubensgeschwister in der Diaspora. Was sind da aktuell Ihre Argumente?
Austen: Sie haben recht, im Moment sind es sehr viele Herausforderungen, die auch unsere Spender und Spenderinnen mit betreffen. Wir sind sehr dankbar, dass es den Blick gibt. Das ist ein ganz wichtiges Argument, dass wir vom christlichen Glauben her den anderen nicht allein lassen. Gerade die Bedürftigen, gerade die Menschen, die in Not sind, aber auch unsere Glaubensbrüder und -schwestern, dass sie eine Glaubensgemeinschaft bilden können.
Wir können nur appellieren und einladen im Rahmen der Möglichkeiten, die es gibt, die Projekte zu unterstützen, die sehr konkret und transparent sind. Beispielsweise in der Manege in Berlin, wo geflüchtete Kinder aus der Ukraine eine Heimat finden. Oder in Norwegen, wo Projekte unterstützt werden. Oder in Stockholm: Dort nimmt die Gemeinde St. Eugenia viele Migranten auf und braucht Räumlichkeiten. Da können wir nur appellieren und wir sind sehr dankbar, dass die Menschen dies unterstützen und auch wahrnehmen im Rahmen der Möglichkeiten, die sie haben.
DOMRADIO.DE: Auch die katholische Kirche steckt ja nun schon lange in der Krise. Was haben Sie mit Ihrer Aktion jetzt dieser Unzufriedenheit entgegenzusetzen?
Austen: Wir wollen nichts entgegensetzen, sondern wir wollen sehr deutlich machen, was denn unser Auftrag als Christen und Christinnen ist, wo wir uns selbst vergewissern, aber auch, aus welcher Zuversicht wir eigentlich leben. Dabei gilt es, die gesamte Sicht wahrzunehmen. Auf der einen Seite gibt es viele Dinge, die es aufzuarbeiten gilt. Es sind auch Veränderungen anzugehen, sehr transparent und auch konsequent.
Aber die Kehrseite der Medaille gilt es auch nicht aus dem Blick zu verlieren, nämlich wie viel Gutes gerade auch durch Christinnen und Christen geschieht: in der Gemeinwesenarbeit, in der karitativen Arbeit, in der kulturellen Arbeit. Wir sollten nicht nach innen implodieren und nur auf uns schauen, sondern auch fragen, was wir denn auch bewirken. Das dürfen wir auch sehr selbstbewusst, nicht überheblich, aber mit Zuversicht auch nach außen tragen.
Es war für mich schon sehr befremdlich, in dieser Woche zu hören, als beim G7-Gipfel in Münster ein Herzstück des Friedenssaales, nämlich das Kreuz entfernt worden ist. Damit wird auch ein Stück unserer Kulturgeschichte und auch Identität verleugnet. Fast 500 Jahre steht dieses Kreuz auch als Zeichen der Versöhnung dort, auch als ein Zeichen unserer Identität. Da glaube ich, sollten wir auch selbstbewusst für uns nach außen treten und sagen: Mensch, denkt auch daran, dass es zu unserer Kultur und Identität gehört und vergesst das nicht und schiebt es nicht einfach an die Seite.
So gehört für mich beides zusammen. Sehr deutlich wahrzunehmen, was uns bewegt in den Krisen unserer Tage und wo wir auch in der Gemeinwesenarbeit an einem Strang ziehen müssen. Andererseits aber gilt es zu betrachten, was uns auch der Halt und die Orientierung aus dem christlichen Glauben bedeuten. Das können wir selbstbewusst und zuversichtlich auch nach außen tragen und uns nicht nur nach innen konzentrieren.
Das Interview führte Carsten Döpp.