Bruder Paulus wünscht sich mehr Solidarität im neuen Jahr

Ältere Menschen haben kaum etwas übrig

Der Kapuzinerbruder Paulus Terwitte beobachtet, dass immer mehr Menschen den Franziskanertreff besuchen. Dort bekommen Obdachlose ein Frühstück für 50 Cent. Die Energie- und Ukrainekrise führt auch immer mehr Rentner zu ihm.

Über 50 Ehrenamtliche bedienen die bedürftigen Gäste. / © Lêmrich Studio (Franziskustreff)
Über 50 Ehrenamtliche bedienen die bedürftigen Gäste. / © Lêmrich Studio ( Franziskustreff )

DOMRADIO.DE: Wie blicken Sie auf das Jahr 2022 zurück, wenn Sie an die Arbeit in der Franziskustreff-Stiftung denken?

Br. Paulus Terwitte (Kapuzinerbruder im Vorstand der Frankfurter Franziskustreff-Stiftung): Wir haben bei uns natürlich viele Gäste und es werden immer mehr. Wir stellen fest, dass diese Gäste viel mehr Sachen mitnehmen. Sie frühstücken bei uns und bitten darum, dass wir ihnen auch für den Tag etwas mehr mitgeben, als wir es bisher kannten.

Offensichtlich sind sie in Nöten, weil sie weniger Menschen finden, die ihnen auf der Straße helfen wollen. Aber auch weil in Corona-Zeiten die Kontaktaufnahme oft schwierig ist. Sie sind sehr froh, bei uns einen Gastraum zu haben, in dem sie am Platz bedient werden und sich in Ruhe aufhalten können.

Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )

DOMRADIO.DE: Täglich kommen bis zu 160 obdachlose Menschen zu Ihnen, um zu frühstücken. Hat die Armut durch Inflation, Energiekrise und Krieg auf ukrainischem Boden zugenommen?

Terwitte: Wir sehen, dass viel mehr ältere Menschen kommen; Rentner, die mit ihrer Rente nicht mehr auskommen und die deswegen froh sind, für 0,50 € einen ordentlichen Start in den Tag zu bekommen. Es nehmen auch immer mehr Menschen die Sozialberatung in Anspruch und prüfen, welche staatlichen Hilfen sie beantragen können, damit sie in ihrer Wohnung bleiben können. Sie haben kaum noch etwas für den Lebensunterhalt übrig, wenn die Strompreise steigen und die Mieten noch erhöht werden.

DOMRADIO.DE: Wie geht es den Menschen, die mit ihnen gemeinsam arbeiten, um den Obdachlosen zu helfen?

Terwitte: Wir sind sehr erstaunt darüber, wie groß die Motivation unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter ist. Sie sagen: 'Jetzt erst recht!'. Und das sagen auch die Wohltäter, die uns mit ihren Spenden unterstützen. Wir hatten gedacht, dass die sich jetzt zurückziehen, weil sie sich erst um sich selbst kümmern müssen. Aber sie sind bereit, mit uns zu teilen. Wir haben etwa die Energiepauschale von Menschen bekommen, die sagten: 'Die brauche ich für mein Leben nicht. Den Menschen die zu Ihnen hinkommen, kann mit dem Geld mehr geholfen werden.'

DOMRADIO.DE: Bekommen Sie genug Unterstützung?

Terwitte: Wir können wirklich nicht klagen. Wir haben genug Unterstützung, auch weil Firmen zu Gunsten von Bedürftigen auf Weihnachtsgeschenke verzichten, oder in der Firma sammeln und damit ein Zeichen der Solidarität setzen wollen. Wir finden das sehr bemerkenswert, dass es für uns tatsächlich ausreicht.

DOMRADIO.DE: Wie sehen sie aktuell auf die Gesellschaft?

Terwitte: Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft herausgefordert sind, Solidarität zu üben. Wir merken, dass die soziale Marktwirtschaft funktioniert. Da, wo Menschen Geld verdienen, müssen sie über Steuern und Abgaben und die Sozialsysteme unterstützen. Das ist anders als in anderen Ländern.

Auf der Grundlage der katholischen Soziallehre ist unsere Bundesrepublik zwar aufgebaut, so, dass wir staatlicherseits auch immer die Armen im Blick haben. Das reicht aber nicht immer aus. Wir dürfen erst einmal stolz sein, dass wir in so einem Land leben. Ich habe aber die Befürchtung, dass Menschen einfach vergessen, wie dankbar wir dafür sein dürfen, in einer solchen Lebenslage zu sein wie hier in Deutschland.

Br. Paulus Terwitte, Kapuzinerbruder im Vorstand der Frankfurter Franziskustreff-Stiftung

"Auf der Grundlage der katholischen Sozialethik ist unsere Bundesrepublik aufgebaut"

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für das neue Jahr 2023?

Terwitte: Ich wünsche mir, dass Menschen in ihren Nachbarschaften die Augen offen halten. Dass mehr gegrüßt wird untereinander, dass man mehr wahrnimmt, wo es Armut in Familien gibt. Wir sollten uns Fragen stellen, wie: Wo können wir besser miteinander teilen? Rücksichtsvoller miteinander umgehen? Ich glaube, dass es zu einer Bewegung kommt, zu einer neuen Solidarisierung.

Und am Ende hoffe ich auch, dass die Demokratie davon profitiert. Mir macht ein bisschen Sorge, dass die Aktivitäten, die wir in den Parteien haben, nicht mehr von einer breiten Basis mitgetragen werden. Und ich hoffe, dass Menschen sich wieder neu engagieren. Gerade auch junge Leute, die dann sagen: 'Wir wollen die Demokratie stärken, indem wir uns parteipolitisch mehr einsetzen.'

Das Interview führte Florian Helbig. 

Paulus Terwitte OFMCap

Bruder Paulus wurde als Bernhard Gerhard Terwitte 1959 im westmünsterländischen Ahaus geboren. Nach dem Abitur lernte er den Kapuzinerorden kennen. Mit 19 Jahren trat er in den Orden ein, studierte Theologie in Münster und Graz und wurde am 11. Mai 1985 in Münster zum Priester geweiht.

Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )
Quelle:
DR