DOMRADIO.DE: Die Taliban waren in dieser Woche in Oslo zum Verhandeln mit Vertretern europäischer Länder und den USA. Es ging konkret um humanitäre Hilfe für Afghanistan. Ist Verhandeln mit Terroristen da das richtige Signal?
Stefan Recker (Leiter des Afghanistan Büros von Caritas International): Grundsätzlich natürlich nein. Ich denke aber, da ist die Fragestellung nicht ganz richtig. Klar stehen die Taliban auf Terrorlisten, aber sie regieren nun Mal de facto das Land Afghanistan. Dort gibt es eine humanitäre Krise. Es wird einem nichts anderes übrig bleiben, als mit diesen Menschen zu reden. Es ist ein Signal. Man muss das leider machen, denn man kann sich seine Gesprächspartner nicht immer aussuchen.
DOMRADIO.DE: In Afghanistan ist Winter. Die Temperaturen fallen auf bis zu minus 15 Grad Celsius. Man liest und hört immer wieder von hungernden Menschen. Die Hilfsorganisation UNICEF spricht von 13 Millionen hungernden Kindern, davon eine Million in einer lebensgefährlichen Situation. Sie sind vor Ort. Wie erleben Sie die Lage?
Recker: Das ist der Fall. Auf den Straßen sieht man viel mehr Bettler und Straßenkinder, die sich mit irgendwelchen Gelegenheitsarbeiten versuchen über Wasser zu halten. In den Binnenflüchtlingslagern ist die Situation katastrophal.
Inzwischen haben auch normale mittelständische Familien wirklich echte Probleme, sich zu ernähren und ihre Lebensgrundlagen aufrechtzuerhalten. Heizen ist ein Problem, Strom- und Wasserversorgung. An allen Fronten, die in irgendeiner Form Geld kosten, gibt es Probleme. Es ist wirklich eine große Katastrophe.
DOMRADIO.DE: Wie versuchen Sie da vor Ort zu helfen?
Recker: Wir von Caritas International, dem Hilfswerk der deutschen Caritas und unsere Partner verteilen Geld und Hilfsgüter an bedürftige Menschen, also Nahrungsmittel und andere Materialien. Das sind aber alles nur Tropfen auf dem heißen Stein.
Die Not ist im ganzen Land so groß, dass wir Hilfsorganisationen nur sehr begrenzt tätig sein können. Da muss viel, viel mehr Hilfe geleistet werden und mittelfristig auch Wiederaufbauhilfe geleistet werden, damit das Land irgendwann mal wieder selbstständig sein kann und die Menschen ihre Lebensgrundlagen selbst aufbauen können.
DOMRADIO.DE: Wie kann jemand aus Deutschland helfen, aber auch sichergehen, dass das Geld wirklich ankommt, wo es gebraucht wird und nicht in die falschen Hände gerät?
Recker: Wir als Caritas International stellen natürlich sicher, dass Menschen, die unserer Hilfe bedürfen, unterstützt werden. Wir unterstützen auch grundsätzlich keine Regierenden, egal welcher Fraktion und auch keine bewaffneten Gruppen. Unsere Hilfe geht zu über 90 Prozent an die Hilfsbedürftigen. Entweder durch tatsächliche Geldverteilung oder die Verteilungen von Hilfsgütern. Wir bezahlen auch nicht dafür, dass das wir arbeiten dürfen. Es geht kein Geld an die Machthaber.
DOMRADIO.DE: Ein großes Thema rund um Afghanistan sind auch die ehemaligen deutschen Ortskräfte, die nicht ausreisen konnten und misshandelt oder bedroht werden. Wie ist da die Lage?
Recker: Es sind wahrscheinlich noch sehr viele ehemalige deutsche Ortskräfte in verschiedenen Zonen in Afghanistan. Der Prozess der Ausreise kann von deutscher Seite mit Sicherheit schneller gestaltet werden. Das Auswärtige Amt und die deutschen Botschaften in den Nachbarländern, die sich um Sicherheit und Ausreisen der Afghanen kümmern, tun ihr Möglichstes. Aber man kann natürlich immer noch eine Schippe drauflegen und vielleicht etwas schneller arbeiten.
Aber das ist nicht meine unmittelbare Tätigkeit. Deswegen kann ich dazu nicht allzu viel sagen. Ich kümmere mich um die humanitäre Hilfe in Afghanistan.
DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung Afghanistans ein? Wird die Lage im Land bald besser?
Recker: Ich bin Berufsoptimist. Sonst würde ich das nicht machen. Ich hoffe, dass das Wetter bisschen besser wird und dass die internationalen Hilfsmaßnahmen anlaufen. Letzteres hängt primär an den Geldflüssen. Sie müssen wissen, dass es sehr, sehr schwierig ist, in Afghanistan an Geld zu kommen. Wenn das Problem gelöst ist und der Frühling anbricht, hoffe ich, dass die Situation in Afghanistan besser wird.
Das Interview führte Hannah Krewer.