domradio.de: Die Rückführung der Angehörigen der muslimischen Minderheit nach Myanmar soll nächstes Jahr beginnen, heißt es. Hat Sie diese Nachricht überrascht?
Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Ja, allerdings wird man sehen müssen, ob die Rückkehr wirklich klappt. Zum einen ist die Nachricht sehr gut, denn es gibt keine wirkliche Alternative für die Menschen. 630.000 Menschen sind seit Ende August ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Die Lebensverhältnisse dort sind extrem schlecht und man kann nur davon ausgehen und sich wünschen, dass die Menschen in ihre Heimat zurückkehren.
Allerdings sehe ich einige Fragezeichen, was das Rückkehrabkommen betrifft. Wiederkehrende Berichte aus meinen Gesprächen mit Flüchtlingen waren, dass das Militär in die Dörfer kam und diese Dörfer gebrannt haben. Viele Menschen sind extrem traumatisiert. Ohne Sicherheitszusagen seitens der Regierung in Myanmar werden diese Flüchtlinge nicht zurückkehren.
Es muss sicherlich mehr getan werden. Dass sich die Staaten einigen, reicht nicht. Es muss sich auch grundsätzlich etwas an der Lage der Rohingyas in Myanmar ändern, die ja bis jetzt keinerlei Burka-Rechte hatten und in lagerartigen Dörfern lebten. Ich weiß nicht, ob sie wirklich zurückkehren können und auch wollen.
domradio.de: Sie haben gerade gesagt, dass sich etwas ändern müsste. Welche Änderungen genau meinen Sie?
Müller: Die Rohingya waren in Myanmar, wo sie seit Generationen leben, bisher nicht einmal Bürger zweiter Klasse. Sie waren überhaupt keine Bürger. Sie durften zum Beispiel kein Smartphone besitzen. Sie wurden auch nicht als Bürger Myanmars bezeichnet. Dann kam es zu den schweren Übergriffen. Das heißt, wenn sich die Lebensverhältnisse dieser Menschen nicht verbessern, ist ein normales Überleben kaum möglich.
Ich denke an die Geschichten, die erzählt wurden – an die Übergriffe, Tötungen, Vergewaltigungen – und ich kann gut verstehen, dass die Flüchtlinge ohne wirkliche Sicherheiten, die ihr Leben und ihre Gesundheit garantieren, keinesfalls zurückgehen wollen, weil sie schlichtweg noch Angst haben.
domradio.de: Die aktuelle Lage sieht so aus, dass mehr als 620.000 Rohingya in riesigen überfüllten Lagern leben. Sie kommen gerade von einem solchen Lager zurück. Wie haben Sie die Situation dort erlebt?
Müller: Es ist überraschend ruhig unter den Flüchtlingen, was ich darauf zurückführen würde, dass viele zunächst einmal unendlich erleichtert sind, in Sicherheit zu sein. Viele Flüchtlinge haben eine mehrtägige Reise hinter sich; viele haben praktisch überhaut nichts mitgenommen, um mit ihren kleinen Kindern an der Hand das rettende Ufer in Bangladesch zu erreichen.
Sie sind sehr froh, in Sicherheit zu sein und werden jetzt erstmal versorgt. Sie leben in sehr einfachen Bedingungen, unter einfachen Plastikplanen. Die hygienischen Verhältnisse sind relativ schwierig, um nicht zu sagen in Teilbereichen desaströs. Die Hilfsorganisationen tun dagegen, was sie können.
Es ist eine große Herausforderung, wenn sich 600.000 Menschen in realtiv kurzer Zeit unter freiem Himmel ansammeln. Man darf nicht vergessen, dass sie nach Bangladesch gekommen sind – eines der ärmsten Länder. Es ist bewundernswert, wie die Einheimischen in Bangladesch die Flüchtlinge aufnehmen. Doch ohne die Hilfe von außen geht es überhaupt nicht.
domradio.de: Ab Montag besucht der Papst Myanmar, später reist er auch nach Bangladesch. Welche Erwartungen haben Sie an seinen Besuch?
Müller: Ich hoffe, dass es ihm im Gespräch mit dem verantwortlichen Politikern gelingt, das Bewusstsein für eine geordnete Rückkehr der Rohingya-Flüchtlinge zu fördern und ihnen bewusst zu machen, dass die Rückkehr in ihre angestammten Gebiete die einzig wirkliche Perspektive für sie ist. Man darf ernsthafte Zweifel hegen, ob dies vonseiten Myanmars so gesehen wird.
Ich hoffe, dass es dem Papst gelingt, den verantwortlichen Politikern und den Militärs, die in diesem Land letztlich die Macht haben, ins Gewissen zu reden – um die Rückführung geordnet durchzuführen und vor allem, um den Menschen ihre Bürgerrechte zu geben, die sie brauchen, um dort auch langfristig eine Perspektive zu haben.
Das Gespräch führte Aurelia Rütters.