KNA: Frau Pauser, bereits jetzt gibt es in der Pflege, die besonders vom Fachkräftemangel betroffen ist, innovative Pilotprojekte zur Vier-Tage-Woche. Wie schätzen Sie dieses Konzept ein?
Susanne Pauser (Vorständin für Personal und Digitales beim Deutschen Caritasverband): Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass wir weiter über die Gestaltung der Arbeitszeit nachdenken und neue Modelle ausprobieren, Flexibilität erhöhen und Ruhepausen geben, das muss das Ziel sein.
Die Vier-Tage-Woche, wie sie im Moment diskutiert wird, mit der gleichen Menge an Arbeit in weniger Stunden zu gleichem Gehalt – da sehe ich große Fragezeichen hinsichtlich der Organisation und Finanzierung in den sozialen Berufen.
KNA: Warum?
Pauser: Weil wir Arbeit dort nicht einfach weglassen, schneller machen, digitalisieren, auch Aufträge ablehnen oder schieben können.
Wenn ich in der Pflegeeinrichtung 60 Menschen habe, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche gepflegt werden müssen, aber ganze Zeitfenster entstehen, in denen weniger oder kein Personal da ist – das geht nicht.
Aber: Wir haben bereits 15 bis 20, in manchen Bereichen 25 Prozent unbesetzte Stellen in der Caritas.
Also ist die Frage: Gelingt es mir mithilfe einer 30- oder 32-Stunden-Woche, plötzlich mehr Menschen für die Pflege, für soziale Berufe allgemein zu gewinnen oder zurückzuholen? Da bin ich skeptisch.
KNA: Sehen Sie auch Chancen?
Pauser: Ich sehe ganz klar Chancen in höherer Flexibilität. Bei anstrengenden Berufen wie in der Pflege ist eine längere Ruhezeit am Stück von hohem Wert, allein für die Gesundheit.
Auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wenn eine Mutter oder ein Vater vier Tage arbeitet, kann die Kinderbetreuung am fünften Tag besser abgedeckt werden. Denn auch in den Kitas mangelt es ja an vielen Stellen an Personal.
Auch können Menschen dadurch Zeit gewinnen, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern: Behördengänge zu erledigen, jemanden zum Friseur zu begleiten, das kann man ja nur unter der Woche.
So eine Vier-Tage-Woche zu ermöglichen, ist bei der Caritas im Übrigen gelebte Praxis seit vielen Jahren.
KNA: Inwiefern?
Pauser: In den allermeisten unserer 25.000 Einrichtungen und Dienste haben unsere Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten.
Das ist bei uns schon seit vielen Jahren gängig, weil wir als Verband die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirklich leben.
Das unterscheidet sich aber dahingehend von der Vier-Tage-Woche, wie sie aktuell öffentlich diskutiert wird, dass die tatsächliche Arbeitszeit bezahlt wird – also zum Beispiel die 32 Stunden, die in der Woche geleistet werden, und nicht eine Vollzeitstelle.
Aber Dienste zu schieben, zu tauschen, Arbeitszeit zu verkürzen oder in der Woche anders zu verteilen – das funktioniert!
KNA: Welche Erfahrungen machen die Einrichtungen, in denen diese Form der Vier-Tage-Woche möglich ist?
Pauser: Es entsteht natürlich ein höherer Organisationsaufwand in der Verwaltung, denn Arbeitszeiten zu ändern heißt, Verträge zu ändern.
Und es benötigt viel Kommunikation und Kompromissbereitschaft auf allen Seiten. Natürlich ist es für viele einfacher, vormittags zu arbeiten, aber wir brauchen auch nachmittags Leute.
Trotzdem berichten die Kolleginnen und Kollegen von höherer Zufriedenheit, wenn man die Absprachen stärker den Teams überlässt. Die Bindung der Mitarbeitenden ist höher, wenn man versucht, kreative Lösungen zu finden.
Aber es bleibt eine Herausforderung: Eine neue Mitarbeiterin kommt nur, wenn sie Montag bis Mittwoch vormittags vier Stunden arbeitet. Wie schaffen wir es mit dem Team, dafür eine Lösung zu finden?
KNA: Sehen Sie Alternativen, gerade um besonders belastete Berufsgruppen zu entlasten und Mangelberufe attraktiver zu gestalten?
Pauser: Wir werben sehr für sogenannte Springer-Pools, also zusätzliche Pflegekräfte, die flexibel beim Ausfall von anderen Pflegekräften einspringen können.
Aber die müssen wir auch finanzieren können. Und wir müssen Pflegekräfte von Tätigkeiten entlasten, die nichts mit der eigentlichen pflegerischen Tätigkeit zu tun haben: von Dokumentation und Bürokratie. Mehr digitalisieren. Andererseits müssen wir ihnen mehr zutrauen.
KNA: Wie meinen Sie das?
Pauser: In vielen anderen Ländern der Welt dürfen Pflegekräfte anspruchsvollere Tätigkeiten ausführen als bei uns. Manche ausländischen Pflegekräfte kommen hierher und sind fassungslos, wie wenig hier ausgebildete Fachkräfte dürfen!
Wir machen die Arbeit attraktiver, wenn wir Pflegekräften Aufgaben übertragen, die bislang ausschließlich Medizinern vorbehalten sind.
Mehr Handlungsmacht und Selbstverantwortung werten den Beruf auf. Und natürlich eine bessere Vergütung, aber hier wurde in den vergangenen Jahren durchaus schon aufgeholt.
KNA: Der Konflikt zwischen den Generationen spielt in der Debatte um die Vier-Tage-Woche oft eine Rolle: Jungen Menschen wird der Wunsch nach einer gesünderen Work-Life-Balance als Faulheit ausgelegt, Ältere hätten ein besseres Arbeitsethos. Wie sehen Sie das?
Pauser: Ich erlebe schon, dass es bei jungen Menschen verstärkt den Wunsch gibt, schnell ihre Arbeitszeit zu reduzieren.
Die trauen sich auch, das offensiv anzusprechen, zum Teil schon im Bewerbungsgespräch. Dass das aber nur die Jungen tun, das kann ich so nicht sagen – den Wunsch gibt es auch gesamtgesellschaftlich.
Wir sollten es aber nicht verteufeln, sondern ernst nehmen und fragen, woran liegt das? Vielleicht sind wir Babyboomer nicht immer gute Beispiele dafür gewesen, wie wir Beruf und Familie vereinbaren.
Wir müssen darum ringen, denn der Wunsch ist da, das müssen wir akzeptieren. Und er hat auch gute Gründe - also bitte kein Bashing.
KNA: Allgemeiner gefragt: Was macht gute Arbeit aus?
Pauser: Gute Arbeit bedeutet: faire Bezahlung; unter Bedingungen zu arbeiten, die Freiheiten zulassen und mich in dem, was ich tue, Sinn erleben zu lassen; in einem Team zu arbeiten mit guter Stimmung und guten Beziehungen; gut geführt zu werden, ernst genommen und mit einbezogen zu werden.
Gute Arbeit ist, wenn meine Arbeit nicht nur im Team, von meiner Führungskraft und von meinen Patientinnen, Ratsuchenden oder Pflegebedürftigen wertgeschätzt wird, sondern auch von der Gesellschaft.
Das Interview führte Clara Engelien.