Mindestlohn im Pflegebereich wird deutlich steigen

Droht die Insolvenzwelle?

Die Pflegekommission hat sich erneut auf deutlich höhere Mindestlöhne und mehr Urlaub in der Altenpflege verständigt. Ein wichtiges Signal für eine unter Personalnot leidende Branche.

Autor/in:
Christoph Arens
In einem Altenpflegeheim / © pics five (shutterstock)

Wenn es um eine bessere Bezahlung der 1,2 Millionen Pflegekräfte in der Altenpflege in Deutschland geht, ist einiges in Gang gekommen. Seit vergangenem September können nur noch Pflegeeinrichtungen mit der Pflegeversicherung abrechnen, die ihre

Pflege- und Betreuungskräfte nach einem Tarif bezahlen. Am Dienstag teilten Bundesarbeits- und Bundesgesundheitsministerium zudem mit, dass die Mindestlöhne in der Altenpflege erneut deutlich steigen – um bis zu 14 Prozent.

Deutlich höher als der Mindestlohn

Die fünfte Pflegekommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern einigte sich einstimmig darauf, dass die Lohnuntergrenze in der Altenpflege in weiteren zwei Schritten steigen soll – und zwar zum 1. Mai 2024 und zum 1. Juli 2025. Für Pflegehilfskräfte empfiehlt die Kommission ab Juli 2025 eine Anhebung auf 16,10 Euro, für qualifizierte Pflegehilfskräfte auf 17,35 Euro und für Pflegefachkräfte auf 20,50 Euro pro Stunde. Die Laufzeit reicht bis 30. Juni 2026.

Derzeit erhalten Pflegefachkräfte einen Mindestlohn von 17,65 Euro. Für Pflegekräfte mit einer mindestens einjährigen Ausbildung beträgt das Mindestentgelt 14,90 Euro und für Pflegehilfskräfte 13,90 Euro.

Der Mindestlohn in der Pflege liegt damit deutlich höher als der allgemeine Mindestlohn, der 12 Euro brutto beträgt und zum Jahreswechsel auf 12,41 Euro steigen soll. Pflegehilfskräfte liegen mit vier und Pflegefachkräfte mit sechs Euro darüber.

Finanzierung unklar

Eine bessere Bezahlung gilt als wichtiger Hebel, um die bereits bestehende Personalnot in Altenpflege zu lindern und die Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Offen bleibt allerdings weiterhin, wie die höheren Löhne in der Pflege gegenfinanziert werden sollen. Schon jetzt schlagen die höheren Personalkosten bei Pflegeheimbewohnern durch höhere Eigenbeteiligungen durch. Immer mehr Bewohner von stationären Alteneinrichtungen rutschen dadurch in die Sozialhilfe.

Mobile Altenpflege / © Julia Steinbrecht (KNA)
Mobile Altenpflege / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Kassen werden die höheren Kosten allenfalls teilweise und mit deutlicher Verzögerung ausgleichen. Im vergangenen Jahr beklagten sie ein Defizit von mehr als zwei Milliarden Euro, das durch höhere Versicherungsbeiträge ausgeglichen werden musste. Für das laufende Jahr rechnen sie allein für die kurzfristige Stabilisierung mit einem Finanzbedarf von mindestens 4,5 Milliarden Euro.

Kein Wunder, dass die Pflege-Arbeitgeber angesichts der steigenden Mindestlöhne hohe finanzielle Belastungen fürchten und an die Bundesregierung appellieren, die Pflegeversicherung langfristig zu stabilisieren – durch Steuermittel oder eine andere Beitragsstruktur.

Betriebe in Existenzsorgen 

"Es gilt, drohende Insolvenzen abzuwenden, auch im Bereich der Altenhilfe", warnte der Sprecher der Caritas-Dienstgeber in der Mindestlohnkommission, Norbert Altmann. Die Erhöhung stelle "das Äußerste des Leistbaren für die ohnehin massiv belasteten Betriebe" dar, erklärte der Vorsitzende des Pflege-Arbeitgeberverbands im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Rainer Brüderle.

bpa-Präsident Bernd Meurer hatte kürzlich gewarnt, mehr als zwei Drittel der Mitgliedsbetriebe des Verbandes machten sich angesichts der finanziellen Situation Sorgen um die Existenz ihrer Betriebe.

Neue Wohnformen im Aufbau

Personalnot, ein rigider Verhandlungskurs der Pflege- und Krankenkassen über die Höhe der Pflegesätze: Auch der Arbeitgeberverband Pflege sieht die stationäre Altenpflege in Deutschland in einer Insolvenzwelle, erklärte Verbandspräsident Thomas Greiner vergangene Woche. Es drohe ein Heimsterben. Schon jetzt suchten viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen verzweifelt einen Platz im Pflegeheim.

Die Bundesregierung sieht derzeit allerdings keine Schließungswelle im Bereich der Alten- und Langzeitpflege. Zwar gebe es eine "etwas höhere Zahl an Insolvenzen" im Vergleich zu früheren Zeiträumen, teilte sie mit. Andererseits seien im ersten Quartal 2023 insgesamt 105 neue Pflegedienststandorte eröffnet und 97 geschlossen worden. Im stationären Bereich seien 25 neue vollstationäre Pflegeeinrichtungen eröffnet und zwölf geschlossen worden. "Darüber hinaus ist zu bedenken, dass viele Träger neue Wohnformen aufbauen, die das Ziel verfolgen, Angebote klassischer Pflegeheime zu ersetzen."

 

Quelle:
KNA