Caritasverbände in Ostdeutschland starten den "Frust-O-Mat"

"Viele sehen ihre Zukunft bedroht"

Brandenburg, Thüringen und Sachsen wählen noch in diesem Jahr neue Landtage. Umfragen sehen dort extreme Parteien vorne. Dagegen starten die Caritasverbände im Osten die Kampagne #RadikalZugehört, die sich an junge Menschen richtet.

Autor/in:
Tobias Fricke
Smartphone in der Hand / © lzf (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was ist der Frust-O-Mat? Wie kann man sich das vorstellen?

Thomas Gleißner (Pressesprecher und Leitung der Stabsstelle Kommunikation beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.): Der Frust-O-Mat ist eine Onlinemöglichkeit, um Gefühle, Wünsche und Ängste rauszulassen und seine Meinung abzugeben. Wir wollen hören, was die jungen Leute, die wir besonders ansprechen wollen, denken, wie ihre Gefühlslage ist und daraus lernen.

DOMRADIO.DE: Wenn man sich reingeklickt und es ausprobiert, wird man zum Beispiel gefragt, ob einen die Sicherheitslage frustriert. Was für andere Fragen gibt es?

Thomas Gleißner

"Sie suchen Lösungen und wollen irgendwie auch Antworten."

Gleißner: In den Fragen geht es um die Lebenssituation und das Empfinden der Menschen. Wir haben festgestellt, dass viele junge Menschen Angst vor Krieg und vor Klimawandel haben und dass die wachsende Schere zwischen Arm und Reich sie sehr nervt. Viele sehen ihre eigene Zukunft bedroht. Das macht Angst. Sie suchen Lösungen und wollen irgendwie auch Antworten.

DOMRADIO.DE: Jeder vierte Wählende im Osten hat bei der vergangenen Europawahl sein Kreuz bei der AfD gemacht. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Gleißner: Ich glaube, das liegt daran, dass viele sich nicht ernst genommen fühlen. Man muss den jungen Leuten zuhören. Zur Lebenssituation kommt im Osten ein Gefühl, dass sich viele nicht wirklich akzeptiert fühlen. Sie fühlen sich immer noch wie Deutsche zweiter Klasse und haben da keine Lust mehr drauf.

DOMRADIO.DE: In Westdeutschland gibt es auch strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. Trotzdem ist die Tendenz rechts zu wählen dort nicht so groß wie im Osten.

Thomas Gleißner

"Wir wollen eben keine Ratschläge geben."

Gleißner: Das stimmt. Deswegen wollen wir radikal zuhören. So nennen wir die Aktion. Wir wollen herausbekommen, welche Punkte das sind, die man aufgreifen muss. Eins ist für mich sicher: Die Politik hört nicht genau zu.

Wir wollen die jungen Leute abholen. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, ihre Frustration rauszulassen. Wir wollen eben keine Ratschläge geben. Das ist nicht unser Ding. Wir wollen auch nicht oberlehrerhaft daherkommen, sondern wirklich wissen, wie es den jungen Menschen im Osten geht. Dass ostdeutsche Jugendliche in einer besonderen Situation leben, steht für mich fest.

DOMRADIO.DE: Zuhören und sei es noch so radikal, hat noch nichts geändert.

Gleißner: Ja, aber es ist der Anfang. Die Änderungen kann man erst dann angehen, wenn man weiß, wo der Schuh drückt. Erst gegenseitiges Verstehen öffnet den Weg in eine gemeinsame Zukunft.

DOMRADIO.DE: Schauen Sie besorgt auf die anstehenden Wahlen?

Gleißner: Zumindest so besorgt, dass sich die Caritasverbände im Osten zu dieser Aktion zusammengeschlossen haben. Es haben alle gesagt, dass wir jetzt was tun müssen. Das sind dramatische Prognosen für die bevorstehenden Wahlen, aber wir dürfen nicht in eine Schockstarre fallen. Wir dürfen auch nicht Menschen ausgrenzen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Vertrauen in den Staat erreicht in Umfrage neuen Tiefstand

Das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des deutschen Staates ist auf einen neuen Tiefstand gesunken. In einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage für den Deutschen Beamtenbund hielten nur noch 27 Prozent der Befragten den Staat für fähig, seine Aufgaben zu erfüllen. Das waren zwei Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr. 69 Prozent der vom Institut Forsa Befragten sahen den Staat als überfordert an – vor einem Jahr waren es 66 Prozent gewesen.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland / © Sahara Prince (shutterstock)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland / © Sahara Prince ( shutterstock )
Quelle:
DR