Ihn traf eines der härtesten Urteile, das damals in China gegen Dissidenten erging. Der Literaturkritiker Liu Xiaobo wurde Ende 2009 in einem Schnellprozess zu elf Jahren Haft verurteilt. Schuldig wegen "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht", befand das Gericht nach seinen Aufrufen zu schrittweisen und friedlichen politischen Reformen. Eine bittere Zeit begann.
Liu wäre gerne in einem freien Land gestorben
Auch der Friedensnobelpreis 2010 brachte Liu Xiaobo keine Freiheit. Bei der Preisverleihung in Oslo blieb sein Stuhl auf der Bühne leer - eine flammende Anklage der Unterdrückung in China. Lange hörte man nichts von Liu aus dem Gefängnis. Ende Juni dieses Jahres wurde er schließlich "auf Bewährung" aus der Haftanstalt entlassen und mit Leberkrebs im Endstadium in ein Krankenhaus gebracht.
Menschenrechtler und die Regierungen vieler westlicher Länder hatten China aufgefordert, ihm und seiner Frau Liu Xia die Ausreise zu ermöglichen. Doch die Führung in Peking verweigerte sie ihm. Am Mittwoch hatte das behandelnde Krankenhaus in Shenyang erklärt, Liu sei dem Tod sehr nah. Die Atmung habe ausgesetzt, aber die Familie habe eine Intubation der Luftröhre abgelehnt. Zuvor hatte die Klinik Organversagen gemeldet. Liu hatte sich nach Angaben seiner Freunde zuletzt gewünscht, in einem freien Land zu sterben. Dies blieb ihm leider verwehrt.
"Staatsfeind" in China
In den Augen des Regimes wurde Liu zum "Staatsfeind", weil er die "Charta 08" für Meinungsfreiheit, eine unabhängige Justiz und freie Wahlen in China mitverfasst und koordiniert hatte. Das Manifest wurde 2008 veröffentlicht, als die Olympischen Spiele in Peking stattfanden, und wurde schnell von mehr als 10.000 Menschen unterzeichnet. Darunter waren Dissidenten, aber auch Reformer innerhalb des chinesischen Ein-Parteien-Systems. Noch im selben Jahr wurde Liu inhaftiert. Seine Frau, die Malerin, Fotografin und Lyrikerin Liu Xia, wurde unter Hausarrest gestellt, ihr Bruder später zu Haft verurteilt.
Liu verfiel nie in Bitterkeit
Trotz aller Repressionen verfiel Liu offenbar nicht in Bitterkeit. "Ich habe keine Feinde" lautet der Titel eines seiner Essays aus dem Gefängnis. Er las unter anderem Schriften des deutschen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, der von den Nazis ermordet wurde. "Er hat immer gesagt, er will lieber im Gefängnis in China bleiben, als im Ausland in Freiheit", sagte seine Frau, die Fotografin, Malerin und Lyrikerin Liu Xia einmal in einem Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Doch je schlechter Liu Xiaobos Zustand wurde, desto mehr hofften die beiden verzweifelt, im Ausland Ruhe und gute medizinische Versorgung zu finden.
Nach seiner Rückkehr aus den USA ging er in den Hungerstreik
Liu nahm eine besondere Rolle unter Chinas Dissidenten ein. Am 28. Dezember 1955 in der der Provinzhauptstadt Changchun im Nordosten geboren, machte er sich zunächst als Literaturkritiker und Philosophie-Dozent einen Namen. Sein politisches Engagement rührte aus Erfahrungen während der Kulturrevolution in den 1970er Jahren.
Aber auch die Demokratiebewegung von 1989, die blutig niedergeschlagen wurde, war eine prägende Erfahrung. Liu kehrte vom Studium aus den USA zurück und initiierte damals einen letzten Hungerstreik, um der Bewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking neues Leben einzuhauchen. Als die Panzer schon rollten, verhandelte er zusammen mit anderen Dozenten mit dem Militär über einen friedlichen Abzug für einen Teil der Studenten. Prompt wurde er verhaftet, wie viele seiner Mitstreiter.
Seine Fähigkeit zum Dialog machte ihn gefährlich
Liu Xiaobo sei ein Netzwerker gewesen, der unterschiedliche Generationen von Dissidenten und Gruppen zusammenbringen konnte, sagt die Sinologin Kristin Shi-Kupfer vom Berliner Mercator Institute for China Studies. Er hatte Kontakt zu den Angehörigen der Bewegung von 1989, aber auch mit jungen Bloggern und mit reformwilligen Kräften innerhalb des Apparats. Diese Fähigkeit zum Dialog machte ihn für die chinesische Führung auch gefährlich.
Zu den radikalsten Regimekritikern gehörte er nicht. Er sei ein Dissident gewesen, "der gehofft hat, dass man Reformen des politischen Systems mit Teilen der Elite schaffen kann", erläutert Shi-Kupfer, die von 2007 bis 2011 als Korrespondentin aus China berichtete. Liu habe ein anderes System gewollt, aber nicht die ganze Kommunistische Partei einfach hinwegfegen wollen.
Festnahmen, Publikationsverbote, Zwangsarbeit bestimmten seinen Alltag
Liu war mehrfach in Haft. Bereits im Juni 1989 war er für rund 18 Monate ohne Prozess inhaftiert. Festnahmen, Publikationsverbote, Zwangsarbeit, Überwachung und Hausarrest im Umfeld politischer Jahrestage oder Großereignissen wie die Olympischen Spiele bestimmten lange Zeit seinen Alltag.
Seit 1997 war er mit Liu Xia verheiratet. Liu Xiaobo war auch Mitbegründer und langjähriger Präsident des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums, dem heute rund 300 Publizisten im In- und Ausland angehören. Er setzte sich mit der europäischen Aufklärung und Philosophen wie Immanuel Kant auseinander. Mit der "Charta 08" lehnte er sich bewusst an die "Charta 77" an, mit der Vaclav Havel und andere tschechoslowakische Bürgerrechtler 1977 Freiheit und demokratische Rechte einforderten.