EU-Abgeordneter und ZdK-Mitglied Liese zur neuen Legislaturperiode

"Christen müssen Europa unterstützen"

Die Spitzenposten unbesetzt, antieuropäische Vertreter im Plenum und Uneinigkeit zwischen den Fraktionen: Der Start in die neue Legislaturperiode des Europaparlaments ist holprig. So sieht es auch CDU-Politiker und ZdK-Mitglied Peter Liese.

Europaflagge vor dem Europäischen Parlament in Brüssel / © Symbiot (shutterstock)
Europaflagge vor dem Europäischen Parlament in Brüssel / © Symbiot ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ist das heute ein besonderer Start in die neue Legislaturperiode des Europaparlaments?

Peter Liese (CDU-Politiker, Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied des Zentralkomitees deutscher Katholiken / ZdK): Das ist immer ein besonderes Gefühl, wenn man in dieser Versammlung mit Kollegen aus 28 verschiedenen Ländern und ganz verschiedenen Hintergründen zusammenkommt. Ich finde es wichtig, immer wieder festzustellen, dass wir heute unsere Konflikte in Europa durch Diskussionen und durch Abstimmung lösen – nicht durch kriegerische Auseinandersetzungen. Bei allen Schwierigkeiten, die wir haben, ist das schon ein feierliches und erhebendes Gefühl.

DOMRADIO.DE: Eine große Herausforderung ist sicher auch, dass die Ultrarechten stark im Europaparlament vertreten sind, also Abgeordnete, die Europa kritisch sehen und eher nationalistische Ziele ihrer Länder verfolgen. Wie kann das Europaparlament mit dieser Herausforderung umgehen?

Liese: Leider haben wir sehr viele Abgeordnete aus rechten und linken antieuropäischen Parteien, die nicht Probleme lösen und Europa voranbringen wollen, sondern Sand ins Getriebe streuen möchten. Aber es ist nicht ganz so schlimm wie wir das befürchtet hatten. In den Niederlanden beispielsweise hieß es vor der Wahl, die Anti-Europäer könnten stärkste Kraft werden. Sie sind nur viertstärkste Kraft geworden.

Auch die AfD in Deutschland hat ja, zum Glück, schlechter abgeschnitten als bei der Bundestagswahl. Ich glaube, es ist jetzt der Zeitpunkt, an dem sich die proeuropäischen Kräfte, die Fraktionen, die Europa wollen, also Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, zusammenschließen und sagen: Wir gestalten Europa und wir machen uns nicht abhängig von linken und rechten Antieuropäern.

DOMRADIO.DE: Kompliziert kann die Legislaturperiode werden, das zeichnet sich jetzt schon ab. Die Regierungschefs können sich nicht auf die Besetzung der Spitzenposten einigen. Polen und Italien zum Beispiel haben da ganz eigene nationale Interessen. Kann das überhaupt gutgehen?

Liese: Das sehe ich mit ganz großer Sorge. Ich habe ja gesagt, dass die proeuropäischen Kräfte sich einigen müssen. Das ist im Rat schon schlimm. Aber was mich wirklich sehr schockiert hat, ist, dass vor zwei Wochen die Spitzen der Liberalen und der Sozialdemokraten eindeutig erklärt haben, dass sie nicht den Spitzenkandidaten der größten Fraktion, Manfred Weber, wählen werden – ich finde, mit fadenscheinigen Begründungen. Das hat das Parlament geschwächt. Man sagt genau, was man nicht will, bietet dann aber keine konstruktive Lösung an. Denn diese beiden Fraktionen haben natürlich auch keine Mehrheit für einen der Ihren.

Das erinnert mich ein bisschen an das Verhalten des Unterhauses in Großbritannien, wo man genau weiß, was man nicht will, sich aber nicht auf Kompromisse und auf konstruktive Dinge einigen kann. Die Sozialdemokraten und Liberalen haben hier das Europäische Parlament geschwächt. Ich hoffe, dass das kein schlechtes Omen für die beginnende Periode ist, sondern dass die proeuropäischen Kräfte tatsächlich zusammenarbeiten, aufeinander zugehen, Kompromisse machen und die Probleme anpacken: zum Beispiel beim Klimawandel, bei der übertriebenen Bürokratie, die Schwäche Europas in der Außenpolitik. Das müssen wir wirklich anpacken und uns nicht in Grabenkämpfe verstricken.

DOMRADIO.DE: Sie sind Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Das Katholische überschreitet alle Grenzen. Das sollte doch auch Italien und Polen gelten. Nationalismus und Katholisch-Sein, das geht doch gar nicht zusammen, oder?

Liese: Das sehe ich ganz genauso. Wir Christen sind dazu aufgerufen, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Der Papst hat mehrfach sehr, sehr klargemacht, dass wir zu Europa stehen müssen. Ich glaube, rechte und antieuropäische Positionen einzunehmen, passt nicht zum christlichen Glauben. Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hatte sich sehr klar gegen die AfD geäußert.

Ich glaube, Christen sind aufgerufen, Europa zu unterstützen und nicht kaputt zu machen. Ich lese jeden Tag in der Bibel und habe noch nie gelesen: "Du sollst deinen Nächsten lieben, wenn er Christ ist." Sondern das Gebot der Nächstenliebe gilt für alle, die in Not sind. Deswegen ist die Position, die zum Beispiel die polnische Regierung einnimmt oder auch die slowakische Regierung – die zwar eine sozialdemokratische ist, sich aber trotzdem gegen muslimische Flüchtlinge positioniert – aus meiner Sicht nicht aus dem christlichen Glauben abzuleiten.

DOMRADIO.DE: Donald Trump reibt sich die Hände vor Freude, wenn Europa so zerstritten ist?

Liese: Das ist wirklich eine ganz große Gefahr. Wir haben eine komplizierter gewordene Welt. China tritt sehr aggressiv auf: wirtschaftlich und mittlerweile auch politisch. Putin ist eine Herausforderung, so wie Erdogan in der Türkei und Donald Trump in den USA. Die USA sind eine Demokratie. Deswegen mache ich da noch einen gewissen Unterschied zu den anderen drei Ländern aus. Aber er (Trump, Anm. d. Red.) ist einer, der uns sehr herausfordert.

Ich wäre froh, wenn er irgendwann mal in dieser Demokratie abgewählt wird und wir wieder einen Partner haben, mit dem wir zusammenarbeiten können. Unabhängig davon haben wir jetzt diese schwierige Situation – das heißt, Europa muss zusammenstehen. Ich hoffe, dass wir nach den Schwierigkeiten der letzten Wochen wieder dahin zurückkehren, dass wir konstruktive Lösungen finden und geschlossen unsere Interessen und vor allen Dingen unsere Werte in der ganzen Welt vertreten.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Dr. Peter Liese (MdEP) (KNA)
Dr. Peter Liese (MdEP) / ( KNA )
Quelle:
DR