Am Ende stellte sich doch noch etwas von der sonst üblichen Erhabenheit und Euphorie ein. Unter Orgelbrausen und Glockengeläut zieht der Kölner Erzbischof mit dem Allerheiligsten in den Kölner Dom ein. Allerdings unter weitaus geringerer Beteiligung an Schaulustigen als in den Vorjahren. Und auch die Tausenden Gläubigen, die normalerweise zum Schlusssegen noch einmal dicht an dicht in üppigen Weihrauchschwaden stehen, fehlen diesmal. Wie man auch das prachtvolle Schlussbild dieser an Größe so überragenden Glaubensgemeinde, wie es eben nur zu Fronleichnam erlebbar ist und einen noch lange in den Alltag begleitet, schmerzlich vermisst. Und trotzdem: Wenn Domorganist Winfried Bönig beim finalen "Te deum" noch einmal alle Register zieht und die im Kircheninneren zulässigen 120 Besucher in "Großer Gott, wir loben dich" einstimmen, dann ist es fast wie früher: jedenfalls genauso andächtig, feierlich und – trotz Coronabeschränkungen – auch überwältigend.
Zuvor hatte Rainer Maria Kardinal Woelki mit seinen Weihbischöfen, ein paar wenigen Priesteramtskandidaten, Messdienern und Repräsentanten von Kirche und Stadt über eine Statio an der Minoritenkirche vorbei einen deutlich kürzeren Prozessionsweg genommen, als er traditionell vorgesehen ist. Diese kleine Variante war bewusst gewählt worden und eben auch der Pandemie geschuldet. Schließlich sollten die für öffentliche Gottesdienste immer noch geltenden Auflagen strikt eingehalten werden.
Das große "Wir-Gefühl" ist diesmal nicht auszumachen
Überhaupt ist an diesem Fronleichnamtag 2020 vieles anders, als es die Kölner kennen und lieben. Wer in diesem Jahr an diesem großen Glaubensfest teilnehmen wollte, musste sich mit einem Online-Ticket ausweisen, den weitläufig abgesperrten Roncalliplatz an einem der kontrollierten Zugänge passieren, sich beim Betreten des Arreals die Hände desinfizieren und – auch das ist Vorschrift – einen Mund-Nasen-Schutz während der gesamten Eucharistiefeier tragen.
In vorgeschriebenem Abstand zueinander sind auch die begrenzten 300 Sitzplätze, die zur Verfügung stehen, aufgestellt. Ein befremdliches Bild für den, der zu diesem Festtag vor dem Südportal Kölns Kathedrale in der Vergangenheit neben den stets reservierten Stuhlreihen für die politische Prominenz, die vielen Vertreter der Verbände, Gremien, Orden, Studentenverbindungen, Handwerksinnungen, Kommunionkinder oder Karnevalsgesellschaften darüber hinaus immer noch weitere große Menschentrauben gewohnt war. Denn in der Regel säumen viele Gläubige aus Nah und Fern, aber auch Touristen und neugierige Zufallspassanten den Platz zwischen Domhotel und Römisch-Germanischem Museum, von denen sich die meisten dann einer nicht enden wollenden Prozession durch die Altstadt anschließen. Aber die vielen öffentlichen Aufrufe im Vorfeld von Fronleichnam, keine Menschenansammlungen zu bilden und auch nicht entlang dem Prozessionsweg zu stehen, zeigen Wirkung. Nur sehr vereinzelt sieht man Gruppen. Das große "Wir-Gefühl", wie es die Kölner Kirche an einem Tag wie diesem sonst immer wohltuend selbstverständlich demonstriert, ist diesmal auf den ersten Blick nicht auszumachen.
Die 300 Zugangstickets waren schnell vergriffen
"Unter den gegebenen Bedingungen geht einfach ein Teil dieser Gemeinschaft verloren", findet Franziska Broicher aus Lövenich, die bislang zum Fronleichnamsfest immer mit ihrer Familie auf den Roncalliplatz gekommen ist. "Das gehörte für uns jedes Jahr dazu", sagt die Lehramtsstudentin. Nun ist sie froh, eine der begehrten Zugangskarten ergattert zu haben. "Aber auch nur, weil ich mich gleich morgens um 9 Uhr angemeldet habe." Dafür genieße sie zum ersten Mal von ihrem Platz aus einen freien Blick auf den Altar, lacht die 20-Jährige, die als Jugendliche immer in den hinteren Reihen gestanden hatte, inzwischen Mitglied in der christlichen Studentinnenverbindung ADV Rheno-Minerva ist und gerne mit ihren Kolleginnen gekommen wäre. "Vielleicht im nächsten Jahr", hofft die junge Frau, "dann sind wir ganz sicher zu mehreren hier."
Innerhalb einer knappen Dreiviertelstunde seien alle Tickets, die zur Teilnahme an der Eucharistiefeier berechtigen, vergeben gewesen, berichtet Pia Modanese vom Newsdesk des Erzbistums. Der Andrang sei groß gewesen. Das Medieninteresse seitens der Journalisten indes nicht vergleichbar dem von der ersten öffentlichen Messe im Dom Anfang Mai. Das mag auch daran liegen, dass von allen Verantwortlichen immer wieder betont wurde, dass der Fronleichnamsgottesdienst mit dem Kölner Erzbischof für alle, die nicht mit dabei sein können, live bei DOMRADIO.DE oder EWTN übertragen werde.
Einzigartige Atmosphäre und tolle Domkulisse
Eigens aus Daun in der Eifel sind Ursula und Klaus Pantenburg angereist. Sie schätzen sich glücklich, dass sie für die abgesagte Fronleichnamsfeier daheim und vor allem auch die Prozession durch ihr Dorf würdig entschädigt werden. "Ich bin mit diesem Fest groß geworden und mache da seit meiner Kindheit mit", erzählt Klaus Pantenburg. Jedes Jahr stehe er bereits um 4 Uhr in der Frühe auf, um die in ländlichen Gebieten noch traditionellen Blumenteppiche mit seiner Frau zu gestalten. Dass in diesem Jahr zuhause alles abgesagt worden sei, habe ihn schon sehr enttäuscht. Ihn freut, dass darauf auch Kardinal Woelki in seiner Begrüßung eingegangen ist und daran erinnert, dass die Tradition einer großen Prozession in Köln seit 1279 bestehe und sowohl die Kirche als auch die Stadt das, was in diesem Jahr geschehe, als "einmalig und außerordentlich" erlebten.
Für Marga Heck ist diese Messe – nach einer langen coronabedingten Pause in ihrer Heimatpfarrei Köln-Rath – so etwas wie ein Neustart. Wenn man ja doch nicht mitsingen dürfe, habe sie eher noch abwarten wollen, meint sie. "Seit vielen Jahren komme ich zu Fronleichnam immer nach Köln. Die Atmosphäre ist einzigartig und die Kulisse mit dem Dom einfach toll", schwärmt die 66-Jährige. Auch sie freut sich, dass sie bei der Online-Registrierung unter den Ersten war. Diese Freilichtmesse sei nun mal etwas Besonderes. Außerdem ließen sich die Einschränkungen mit Mundschutz und Abstand an der frischen Luft gleich viel besser aushalten. Und in seiner Predigt habe der Kardinal sehr passend Bezug auf das genommen, was die Menschen gerade bewege. "Gar nicht abgehoben, wie man das in der Kirche sonst schon mal zu solchen Anlässen erlebt."
Kardinal erinnert an die vielen Opfer der Pandemie
In der Tat trifft der Kölner Erzbischof an diesem Vormittag in Zeiten besonderer Umstände und Maßnahmen den richtigen Ton, indem er einmal mehr die ins Zentrum stellt, die unter den Auswirkungen der Corona-Krise am meisten leiden, und zur Solidarität aufruft. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Pandemie die Abgründe und die Verwundbarkeit des menschlichen Zusammenlebens in vielen Bereichen aufdecke, sei es wichtiger denn je, so Woelki, "Christus, das Brot für das Leben der Welt, hinaus in die Öffentlichkeit unserer Straßen zu tragen". In die Krankenhäuser, Pflegeheime oder Kinderschutzeinrichtungen, in die Fabriken oder die industrielle Landwirtschaft und nicht zuletzt in den Alltag armer Familien, armer Rentnerinnen und Rentner sowie wohnungs- und obdachloser Menschen klinge das Versprechen Gottes hinein, nahe zu sein und mitzugehen. "Fronleichnam ist das Versprechen Gottes mitten unter uns, der selbst kein ‚social’ oder ‚physical distancing’ kennt und uns hilft, diese zu überwinden. Immer. Nicht nur in Pandemie-Zeiten." Im Sakrament der Eucharistie schenke er seine Liebe, Nähe und Zärtlichkeit.
Der Kardinal erinnert an die vielen Menschen, die in den letzten Wochen ihre Arbeit verloren haben und an der damit verbundenen Not zu verzweifeln beginnen. Er erinnert an die Kinder, Jugendlichen und Frauen, die oft schon lange unter häuslicher Gewalt leiden und deren Lage sich in Corona-Zeiten noch verschärft. Er erinnert an die Frauen und Männer, die für Niedriglohn arbeiten und von der Gesellschaft kaum wahrgenommen werden. Und er erinnert an die weltweit 400.000 Covid-19-Toten und diejenigen, die auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen.
Woelki: Heutiger Tag ist zum Niederknien
Einen besonderen Dank richtet er dann an die vielen Helfer, die sich täglich, wie er betont, um die bis zu 150 Obdachlosen im Priesterseminar kümmerten, an sie eine warme Mahlzeit verteilten, sich ihnen aber vor allem mit Freundlichkeit zuwendeten. "Diese jungen Leute sind in den vergangenen Wochen selbst Brot für das Leben ihrer Mitmenschen geworden", würdigt Woelki deren Engagement. Sie seien zu Botschafterinnen und Botschaftern des Fronleichnamsfestes geworden. Wörtlich ruft er ihnen zu: "Ihr wart und seid wie eine Monstranz, durch die Christus aufgrund Eueres Dienstes für viele konkret erfahrbar und berührbar geworden ist. Weil es Euch gegeben hat – und immer noch gibt – konnten und können wir hier in Köln schon seit Wochen Fronleichnam feiern."
Abschließend appelliert der Kardinal noch einmal daran, sich mit den Armen und an den Rand Gedrängten, vor allem auch mit den Flüchtlingen und Asylsuchenden in den vielen Lagern zu solidarisieren. "Christus begegnet uns in jeder Frau, in jedem Mann und jedem Kind, das auf Zukunft hofft und sich nach einem menschenwürdigen Leben sehnt. Ihr Schrei nach Gerechtigkeit, nach Frieden, Freiheit und Würde ist Gottes Schrei!" Von daher lade Fronleichnam dazu ein, Christus nicht nur heute, sondern an jedem Tag die Ehre zu geben und ihn auch in den Ärmsten der Armen zu suchen und zu verehren. Deshalb sei der heutige Tag zum Niederknien: vor dem Allerheiligsten und vor der Würde eines jeden Menschen jeder Hautfarbe.