Weihnachten wird gemeinhin für das Fest der Idylle gehalten. Der Kerzenschein, der den Stall von Bethlehem milde bescheint, soll auch in unseren Wohnzimmern erstrahlen. Generationen finden zusammen in trauter Eintracht, sie scharen sich um den Christbaum, singen Weihnachtslieder. Aus der Küche weht Bratengeruch, Kinderaugen erstrahlen, die Alten schwelgen in seligen Erinnerung.
Schade nur, dass es nicht so läuft wie in der Sahnebonbonwerbung. Das Familienbild, das dort stilisiert wird, entsprach wohl nie der Wirklichkeit, so wenig wie historisch verbürgt ist, dass die Geburtsszene genau so stattgefunden hat. Im 21. Jahrhundert lebt der Mensch in ganz anderen Lebenszusammenhängen - seine kulturelle Identität hat sich vervielfacht - Herkunft bestimmt nicht mehr die Zukunft.
Elektronische Kontakte über das Jahr
Die Entfernungen zwischen den Familienmitgliedern haben sich vergrößert. Der Kontakt läuft über das Jahr oft elektronisch. Deshalb bekommt Tante Hilde zur Beschwerung auch ein Tablet, und es dauert einen Moment, ihr zu erklären, dass man darauf weder Zwiebeln schneidet, noch es als Untersetzer für die Topfpflanze nutzen sollte. Per Skype hält man der weiter entfernt wohnenden Verwandtschaft die Nichten und Neffen vor Augen, das muss erst mal reichen.
Echtzeitbegegnungen in einem Raum werden seltener und müssen wohl zunehmend geübt werden. Es genügt eben dann nicht mehr ein Mausklick, um die palavernde Verwandte, die froh ist, endlich mal wieder mit jemandem sprechen zu können, abzustellen. Dass wir oft, gerne und viel elektronisch kommunizieren, verändert auch unser Artverhalten in der direkten Begegnung. Wir würden, wie wir es oft beim Fernsehen tun, gerne wegzappen, wenn Opa die immergleiche Anekdote zum Besten gibt, oder die sensible Schwägerin in Sachen möglicher Ehekrisen nachbohrt. Aber wir müssen den Schein waren.
Dass die Köche des Hauses, die die Gans in den Ofen schieben, in der Eile vergessen haben, dass die aus der Hipster-Metropole angereiste Tochter seit elf Monaten zur radikalen Veganerin mutierte, ist für den viel beschworenen Weihnachtsfrieden eher abträglich. Einem "Aber du hast das doch immer gerne gegessen" wird ganz sicher ein scharfes "Da sieht man mal wieder, dass du mir nie zuhörst" entgegengeschleudert. Schließlich definieren sich die Individuen letztlich über ihre Sonderwünsche. Wer diese Bedürfnisse nicht erfüllt, wird für respektlos gehalten.
Schenken wird schwieriger
Apropos schenken: Da man heute jedes Produkt in wenigen Schritten erwerben kann, wird es immer schwieriger sich zu beschenken. Wir gehen immer mehr dazu über, Geldgeschenke zu machen oder Gutscheine auszustellen, doch das führt die Idee des Schenkens ad absurdum.
Warum nicht gleich die Kontoauszüge des elektronischen Geldtransfers mit einem Band versehen und unter den Weihnachtsbaum legen?
Weihnachten, so heißt es immer auch, ist ein Fest der Stille. Diese Stille muss man erst einmal aushalten. Beim Warten aufs Christkind passt sicher noch eine Folge einer Netflix-Serie oder eine Runde im Computerspiel dazwischen. Daddeln statt Datteln, Mandeln und Rosinen.
Flüchtlinge zu sich einladen
Das Warten ist abgeschafft - Besinnlichkeit und Einkehr treten höchstens bei einem flächendeckenden Stromausfall ein.
Doch inzwischen gibt es auch Tendenzen, Weihnachten neu zu beleben, zumindest bei den Menschen, die bemerken, dass in dieser übergroßen Fülle, irgendetwas fehlt. Sie erwägen, geflüchtete Menschen zu sich einzuladen. Ganz im christlichen Sinne: Auch Maria und Josef suchten Obdach auf der Flucht. Pro Asyl startete nun eine Kampagne, Fremdlinge einzuladen. Dagegen ist nichts zu sagen. Diese Institution verschickt Postkarten, darauf versammeln sich Menschen um einen Christbaum. Überschrieben ist sie mit "Willkommen zum Familienfest".
Das Wort Weihnachten ist gestrichen. Offenbar will man diese Menschen nicht düpieren. Dabei ist es doch höchste Fest christlicher Nächstenliebe, die sich auf alle Religionen erstreckt.