DOMRADIO.DE: Wenn man es vermisst, Freunde zu treffen, im Fitnessstudio zu trainieren und ins Restaurant zu gehen, darf man sich da über die Holzhammermethode der Politik ärgern oder ist das kontraproduktiv?
Prof. Dr. Cornelia Richter (Evangelisch-Theologische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn): Ärgern darf man sich immer, denn es gehört auf alle Fälle zur Resilienz dazu, sich bewusst zu machen, was einen nervt, was einen belastet und wo man eigentlich ganz gut klarkommt. Man darf das auch aussprechen. Ob es allerdings hilft, wenn man sich da hineinvertieft, dass das jetzt alles nicht geht und sich da hineinverbohrt, dass dieser Plan, den man hatte und das normale Leben nicht funktioniert, das wage ich sehr zu bezweifeln. Von Plan A auf Plan B zu kommen, ist schon sinnvoll.
DOMRADIO.DE: Aktuell ist ja nichts so wirklich planbar. Wir wissen nicht, wie lange die Kinder noch im Distanzunterricht sind, Urlaub lässt sich schon mal gar nicht planen. Wie kriegen wir es denn hin, da nicht durchzudrehen?
Richter: Das Erste, was man sich wirklich vorstellen muss, was ganz wichtig ist: Resilienz ist keine Fähigkeit, die Sie mitbringen oder nicht. Resilienz ist auch nicht eine Fähigkeit, die Sie sich durch irgendein Training jetzt aneignen können. Sondern Resilienz ist etwas, das sich in einem dynamischen Prozess während und durch die Krise hindurch aufbaut. Das ist etwas, was einem viel Hoffnung geben kann. Denn es zeigt, dass es die Art und Weise ist, wie wir mit dieser Krise umgehen.
Soziale Absicherung, Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz oder verlässliche und unterstützende Kolleginnen und Kollegen sind total wichtig. Das macht Druck auf die Politik, denn das soziale Netz muss funktionieren.
Für uns selber ist es aber genauso wichtig, dass wir uns klarmachen, dass wir aushalten und gestalten können. Und aushalten meint nicht nur einfach, ich nehme alles hin und ich ducke mich weg und ich darf eh nichts sagen und ich muss mich ohnmächtig fügen. Sondern aushalten meint eben diese Analyse, was mich so belastet.
Natürlich können wir vieles nicht im Moment. Natürlich ist die Unsicherheit ganz groß. Und wenn jetzt eine Familie mit Homeschooling, Homeoffice, Homekita zu Hause in einer Zweizimmerwohnung, Dreizimmerwohnung sitzt, dann ist das natürlich ein wirklich ganz, ganz schwerer Zustand. Da lässt sich nichts beschönigen.
Aber wenn man von diesen äußeren Umständen absieht, dann kommt es ganz viel darauf an, wie man sich innerlich darauf einstellt. Ich sage mal ein Beispiel: Dieser Wintereinbruch jetzt macht die Dinge im Verkehr nicht leichter. Aber man kann sich zugleich auch über diesen schönen Schnee freuen. Man kann sozusagen die Dinge, die schön sind, auch persönlich nehmen. Das ist ganz wichtig. Das ist eine scheinbar banale Sache. Aber so banal ist die nicht. Man musss sozusagen das, was da draußen ist, persönlich nehmen. Die Schönheit eines Schneesturms, aber auch die Schönheit der ersten Osterglocken.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, Resilienz ist nichts, was einfach so angeboren ist. Welche Menschen kommen denn grundsätzlich besser mit Krisen zurecht? Kann man das sagen?
Richter: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man psychisch und kognitiv flexibel ist, also dass man sich nicht festklammert an dem, was scheinbar normal ist, sondern sich einfach auch fragt: Wieso komme ich eigentlich auf die Idee, dass das normal ist? Wieso kann man nicht ausprobieren, woran man sich alles gewöhnen kann? Das haben wir gerade beim Homeoffice perfekt gesehen.
Vorher hat es niemand für möglich gehalten, dass Arbeitnehmer so gut zu Hause arbeiten können. Dann hat man das ausprobiert und hat gemerkt, na ja, so ganz der Traum ist es vielleicht doch nicht, eigentlich würde man doch gern wieder zur Arbeit fahren. Jetzt weiß man aber, jetzt zeigt sich, dass das für die einen so ist, für die anderen so. Und man merkt daran, wie wichtig es sein wird, dass man sich flexibel hält. Und dass man immer wieder ausprobiert, was könnte denn gehen.
Das andere ist, dass man soziale Kontakte aufrecht hält über Medien, die man sonst eigentlich nicht dafür nutzen würde. Man kann sagen, WhatsApp und Co. was sind ja nur ein Hilfsmittel. Man kann aber auch entdecken, eine wie hohe Bindekraft man darüber aufbauen kann, dass man Emotionen mit anderen durchaus zeigen kann, dass man andere einbeziehen kann, die ganz weit weg sind. Es ergeben sich ja auch neue Möglichkeiten des Zusammenwirkens.
Ganz wichtig ist auch ein strukturierter Tagesablauf. Extrem wichtig. Dass man sich jeden Tag sozusagen konkret vornimmt: Was steht heute an und was will ich jetzt erreichen? Das sollen nicht so große Ziele sein, wie immer gesagt wird, dass man eine Sprache lernen soll. Ja, natürlich ist das schön und sinnvoll, aber es ist ein riesiges Ziel, das muss man erst mal erreichen. Wenn man das dann nicht erreicht, dann ist man erst recht wieder frustriert.
Man sollte sich stattdessen eher konkrete Aufgaben setzen, konkrete Ziele, ritualisierte Praktiken, also alles, was sozusagen den Tagesablauf strukturiert, sodass ich das Gefühl habe, doch, ich kann den gestalten, ich kann den tatsächlich gestalten, auch wenn es ganz anders ist als das, was ich mir vor einem Jahr noch gewünscht habe.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt denn der Glaube in Zeiten wie diesen für die Resilienz eines Menschen?
Richter: Wenn man jetzt sich fragt, was ist eigentlich christlicher Glaube, dann würde man ja sagen, das ist eine Mischung aus mehreren Komponenten. Die erste ist, dass ich mich einfüge in eine Tradition, die mir sozusagen Worte und Bilder für die eigene Lebensdeutung an die Hand gibt. Es ist ja so, dass wir in all dem im Glauben ja nicht nur - oder so viel wie gar nicht - primär denken, sondern dass wir uns zugleich immer emotional ansprechen lassen.
Es gibt kaum Glaubensinhalte, die nicht auch eine emotionale Färbung mit sich transportieren, mit sich tragen. Das heißt, wir können das, was uns bedrückt, auch gut zum Ausdruck bringen. Also wenn man an die Gebete denkt oder noch mehr an die Lieder, dann singen wir uns ja gemeinsam durch die ganze Palette menschlicher Gefühle, von Freude bis Angst und Verzweiflung bis hin zu neuer Hoffnung.
Und das Dritte ist, dass man sich im Glauben gut in Anspruch genommen fühlen kann, also sozusagen die Zusage, dass wir gebraucht sind. Das ist eine Botschaft, die einem hilft, von sich selbst abzusehen.
DOMRADIO.DE: Rein praktisch betrachtet, wenn wir uns jetzt etwas suchen, wie kann man anderen Leuten helfen? Vielleicht jetzt in der Kälte eine warme Suppe für Obdachlose austeilen, einkaufen gehen für Menschen, die nicht rausgehen können: Hilft das besser durch die Krise zu kommen?
Richter: Ja, ganz gewaltig. Weil alles das, bei dem wir für andere sorgen auch einem selbst hilft. Die verteilte Suppe ist ja schon ein ganz hoher Anspruch. Man darf das nicht als Anspruch formulieren, das ist ganz wichtig. Gerade in der Distanz kann ich mir gezielt überlegen, wer ist eigentlich noch einsamer als ich und wen rufe ich jetzt an? Das ist etwas, wo ich meine eigene Selbstwirksamkeit ganz gewaltig erhöhe.
Selbstwirksamkeit ist ein Faktor, der ist für Resilienz sehr wichtig. Der kippt aber ins Negative, wenn man ihn als einen Aktivismus versteht: Ich muss Selbstwirksamkeit haben oder agieren, um resilient zu sein. Das wäre zu viel. Es ist vielmehr eher so, dass die Stärkung darin besteht, dass, wenn diese Selbstwirksamkeit etwas ist, das mir zuwächst, ich etwas tue und erst danach merke, dass ich etwas getan habe.
Das Interview führte Julia Reck.