Harmonie war gestern. Zwischen dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der Union gab es in letzter Zeit Misstöne. Nach scharfer Kritik der Kirchen an der Migrationspolitik von CDU und CSU trat die ehemalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Dachverband der katholischen Laien aus. Und erneuerte kurz vor der Bundestagswahl ihre Kritik an dem Gremium. "Man hält die eigene Position für die einzig richtige, und von der aus wird mit dem erhobenen Zeigefinger auf alle anderen herabgeredet", beklagte sie in der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Das ZdK habe die migrationspolitischen Debatten innerhalb der CDU schon länger sehr kritisch gesehen, fügte Kramp-Karrenbauer hinzu: "Das ist etwas Normales, das war immer schon so, und das habe ich auch immer gut ausgehalten." Doch den von ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp vorgetragenen Vorwurf gegen Friedrich Merz könne sie nicht mittragen. In einem Interview der "Augsburger Allgemeinen" hatte Stetter-Karp angesichts der Debatten um die Unionsanträge zur inneren Sicherheit und zur Migrationspolitik sowie den Entwurf zum Zustrombegrenzungsgesetz gesagt, Merz verlasse "wissentlich in der Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes".
Gratulation samt Aufgabenliste für Merz
Am Abend der Bundestagswahl war der Ton versöhnlicher. "Ich gratuliere der Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zum Wahlsieg. An ihn geht der Auftrag zur Regierungsbildung", so Stetter-Karp. Das klang so, als wolle da jemand gerne Brücken bauen. Allerdings gab die ZdK-Präsidentin tags darauf dem voraussichtlichen zehnten deutschen Bundeskanzler auch ein paar Aufgaben mit auf den Weg: "In Zeiten einer besorgniserregenden Fragmentierung der Gesellschaft braucht Deutschland jetzt einen Kanzler, der eint. Der europäisch denkt. Und der einem vielfältigen Land mit großen Herausforderungen Hoffnung gibt."
Denn das Regierungsschiff – und diese Ansicht teilen sie vermutlich nicht nur beim ZdK – fährt vom Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr. Stetter-Karp formulierte es nach vorn gewandt: "Wer Zukunft will, darf in dieser Situation nicht zurück in die Vergangenheit. Nicht bei der Klimapolitik. Nicht bei der Wirtschafts- und auch nicht bei der Sozialpolitik." Das lässt sich durchaus als Spitze gegen Merz lesen, dem Kritiker eine zumindest in Teilen rückwärtsgewandte Politik unterstellen.
Debatte um Migrationspolitik geht weiter
So oder so: Die jüngsten Debatten um die Migrationspolitik dürften nicht nur die neue Bundesregierung, sondern auch die höchste repräsentative Vertretung der katholischen Laien in Deutschland noch eine Weile beschäftigen. Stetter-Karps Kritik an Merz ging beispielsweise auch dem Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Joachim Unterländer, zu weit. Er sei "etwas unglücklich" über die Formulierung, sagte der CSU-Politiker Anfang des Monats der "Augsburger Allgemeinen". "Ich finde, wir müssen stärker über die Frage diskutieren: Wie viel Zuwanderung verträgt unsere Gesellschaft und wie können wir gelingende Integration schaffen?", fügte Unterländer hinzu.
Was die Wahrnehmung des Katholikenkomitees im politischen Berlin angeht, ist eine Unions-geführte Regierung offenbar kein Selbstläufer mehr. Die Gratulation an Merz mag dem Prinzip "kleines Senfkorn Hoffnung" folgen – aber die Verstimmung bei CDU und CSU hallt offenbar länger nach. Zwar widersprach Kramp-Karrenbauer im Interview der "Neuen Osnabrücker Zeitung" dem Vorwurf, die Kirchen seien inzwischen eine Vorfeldorganisation der Grünen. Aber gerade in der Gesellschaftspolitik, etwa in der Frage von Geschlechterrollen oder der sexuellen Identität, hätten sie sich schon angenähert, so die CDU-Politikerin: "In gleicher Weise sehe ich, dass sich Kirchen und CDU seit Längerem mit mehr Distanz begegnen."