"Sarco" – so heißt die umstrittene Suizidkapsel, die nun in einer Waldhütte in der Gemeinde Merishausen im Schweizer Kanton Schaffhausen das erste Mal zum Einsatz gekommen ist. Eine 64-jährige US-Amerikanerin hat sich letzte Woche in diesem Gerät vorsätzlich das Leben genommen.
Das geht aus der Berichterstattung der niederländischen Zeitung "NL Times" hervor. Dazu musste die Amerikanerin im Sarco lediglich einen Knopf drücken, um eine Stickstoffeinleitung in die Kapsel auszulösen. Der Sauerstoff würde laut Herstellern der Kapsel dann langsam verdrängt. Den Sterbewilligen im Sarco sei es dadurch möglich, "friedlich" einzuschlafen. Bereits nach wenigen Minuten setze der Tod durch Ersticken ein.
Erfunden wurde die mobile Suizidkapsel von dem Australier Philipp Nitschke, der als eine sehr kontroverse Person innerhalb der Sterbehilfeszene gilt. Doch nicht nur an Nitschke scheiden sich die Geister – auch sein Sarco wird in der Schweiz rege diskutiert, seit die Sterbehilfeorganisation "Last Resort" deren Verwendung im Juli dieses Jahrs angekündigt hatte. Damals hatte das Kanton Wallis, in dem der erste Sarco-Suizid hätte stattfinden sollen, ein Veto gegen den Vorgang eingelegt und auch weitere Kantone kündigten damals an, ein Verfahren einzuleiten, sollte die Kapsel auf ihrem Boden zum Einsatz kommen.
"Sie haben es deshalb einfach drauf ankommen lassen"
Die Neue Züricher Zeitung berichtete, dass die juristische Begründung für das Nutzungsverbot von Sarco in den Kantonen Wallis und Schaffhausen laute, dass zunächst geklärt werden müsse, ob die Suizidkapsel eine Zulassung als Medizinprodukt brauche. Sollte dies der Fall sein, müsse sie erst ein entsprechendes Prüfverfahren durchlaufen. Im Gespräch mit der Schweizer Zeitung "20 Minuten" gab ein Kantonsarzt aus Schaffhausen an, dass das im Sarco verwendete Gas außerdem erst von Swissmedic oder den kantonalen Behörden hätte zugelassen werden müssen, weil es sich dabei um ein besonderes Heilmittel handele, was im Sarco nicht gemäß seiner medizinischen Bestimmung angewendet würde. Außerdem sei Nitschke in der Schweiz nicht als Arzt zugelassen.
Sarco scheitert in der Schweiz also vorerst nicht an ethischen Fragen, sondern "lediglich" an Auflagen zur Produktsicherheit. Nichtsdestotrotz gab "Last Resort" nach SRF-Informationen ein Gutachten bei einer Züricher Kanzlei in Auftrag, das zu dem Schluss kam, dass die Sterbehilfeorganisation in einem Rechtsstreit nach dem Einsatz des Sarco gegen die Kantone vermutlich gewinnen würden. SRF-Gerichtskorrespondentin Sibilla Bondolfi fasst die Situation so zusammen: "Sie haben es deshalb einfach drauf ankommen lassen." Trotzdem haben die Behörden letzte Woche gleich mehrere Personen festgenommen, die am Suizid der 64-Jährigen beteiligt waren. Der Vorwurf lautet auf "Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord". Nitschke selbst gehört übrigens nicht zu den Festgenommenen: Er verfolgte die Premiere des Sarcos, SWR-Informationen nach, per Live-Stream aus dem Ausland.
Sterbehilfe ist in der Schweiz übrigens generell unter bestimmten Auflagen straffrei. So dürfen Menschen, die Beihilfe zum Suizid leisten, dies nicht aus selbstsüchtigen Motiven – wie zum Beispiel der persönlichen Bereicherung – tun. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass die Sterbehilfeorganisation "Last Resort", die den Suizid per Sarco organisiert und unter anderem von Philipp Nitschkes Ehefrau Fiona Stewart geleitet wird, auf ihrer Website mehrfach und in Großbuchstaben betont, dass die Verwendung des Sarcos für "zugelassene Benutzer" kostenlos sei. In Deutschland gibt es übrigens seit 2020 keine klare Regelung zu dem Thema – das Bundesverfassungsgericht hatte damals entschieden, dass grundsätzlich jeder Mensch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat. Konkrete Gesetze zu dem Thema sind seitdem allerdings nicht finalisiert worden.
Todesform in der Kritik
Philipp Nitschke und sein Sarco stehen nicht erst seit dem Tod der 64-Jährigen in der Kritik. Der Aktivist ist auch in Australien bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Dementsprechend wurde ihm von der australischen Ärztekammer bereits 2015 die Zulassung entzogen. Vom amerikanischen Nachrichtenmagazin Newsweek wurde Nitschke bereits als "Elon Musk der Sterbehilfe" bezeichnet, was vielleicht auch am futuristischen Design seiner Sarcos liegen könnte. Und genau da setzt auch die Kritik an, die von mehreren Seiten gegen Nitschkes Sarco erhoben wird: Wer das Gerät zum Suizid nutzen möchte, verbringt die letzten Minuten seines Lebens buchstäblich "abgekapselt" und einsam in einem Plastikbehältnis.
Dazu kommt, dass nun Vorwürfe gegen Nitschke und "Last Resort" laut werden, sie haben den Tod der Amerikanerin per Knopfdruck als gezielten Tabubruch genutzt. Denn schon im Juli sei angekündigt worden, man wolle die Kapsel noch dieses Jahr das erste Mal zum Einsatz bringen. Sollte der Sterbewunsch der 64-Jährigen tatsächlich dazu genutzt worden sein, möglichst viel Medienaufmerksamkeit für Nitschke und seinen Sarco zu generieren, dann muss man sich tatsächlich fragen: Ist das der würdevolle Tod der Zukunft?
Katholische Stimmen sind sich weitestgehend einig
Wenig überraschend stehen auch die katholischen Stimmen aus der Schweiz und Deutschland dem Sarco sehr kritisch gegenüber. Der katholische Ethiker Markus Zimmermann bezeichnete in einem kath.ch-Interview vom Juli 2024 diese Art des Sterbens als "unmenschlich". Der Ethiker führte aus: "Der Sarco banalisiert und trivialisiert diesen Moment. Der moderne Hyperindividualismus wird sozusagen auf die Spitze getrieben." Aus ethischer Sicht halte er eine Tötungshandlung immer für problematisch, auch wenn sie sich gegen das Selbst richte. Er fügt hinzu: "Aber ich kenne kein starkes ethisches Argument, dass grundsätzlich gegen die Suizidhilfe spricht."
Paul Martone, Mediensprecher des deutschsprachigen Teils des Bistums Sitten, bezeichnet den Sarco – ebenfalls im Gespräch Juli dieses Jahres – im Gespräch mit kath.ch als "wahnsinnige Idee" und Philip Nitschke als "einem Mann, der sich durch seine Erfindung an die Stelle Gottes zu setzen versucht, der allein über Anfang und Ende eines menschlichen Lebens zu entscheiden hat." Er erhebt Zweifel daran, dass ein Suizid überhaupt selbstbestimmt sein kann, wenn Menschen, die sich für diese Form der Sterbehilfe qualifizieren, doch per Definition an Schmerzen und Hoffnungslosigkeit litten – welche sie durchaus in ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit einschränken könnten.
Wie würdevoll kann ein Sarco-Suizid sein?
Soweit die katholischen Stimmen, als der Tod per Sarco noch reine Theorie war. Aber auch nach dem Tod der US-Amerikanerin ebbt die Kritik nicht ab.
Im Gegenteil: Bischof Felix Gmür, in dessen Bistum sich die 64-Jährige das Leben genommen hatte, unterstreicht in einem kath.ch-Interview vom 25. Juli 2024 die Gefahr, die die Bereitstellung des Sarcos seiner Meinung nach darstellt. Denn bei dieser Todesform sei keine ärztliche Beurteilung notwendig. "Das erleichtert den Zugang zum Suizid zu sehr," gibt Gmür zu bedenken. Er sieht in der Bereitstellung des Sarcos die falsche Form der "Hilfestellung". Viel eher hätte man die Amerikanerin Richtung palliativer Pflege orientieren müssen und auch die Angehörigen sieht er in solchen Fällen in der Pflicht, ihr Familienmitglied zu unterstützen und bis zum Lebensende zu begleiten. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat bisher keine Informationen über den Familienstand der Toten veröffentlicht oder darüber, ob sie sich bereits in palliativer Pflege befand oder überhaupt Zugang zu dieser hatte.
Pfarrer Pius Troxler aus dem Pastoralraum Schaffhausen-Reiat betonte im kath.ch-Interview am Folgetag, dass für ihn als Seelsorger das gute Sterben ein großes Anliegen sei – und dazu gehöre für ihn auch, an einem schönen Ort, selbstbestimmt und schmerzfrei sterben zu können. Der Tod im Sarco ist für ihn "herausgerissen aus der eigenen Lebenswelt, ohne Angehörige oder Bekannte dabei und eingeengt quasi schon in den Sarg." Aus Troxlers Sicht sei dies kein würdiges Sterben.