Welche Besonderheiten gibt es in Corona-Zeiten, warum fasten Muslime eigentlich und wie begegnet man ihnen während dieser Zeit am besten?
DOMRADIO.DE: Wie bereiten Sie sich denn persönlich auf den Ramadan vor? Muss man vorher noch etwas erledigen oder extra viel essen?
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Münster): Essen nicht, im Gegenteil: Man freut sich, dass man endlich ein paar Kilo verliert. Aber man bereitet sich vor, zumindest, indem man die wichtigsten Erledigungen schon vor dem Ramadan macht, um den Monat möglichst spirituell und besinnlich zu erleben; dass man die großen Erledigungen nicht jetzt extra im Ramadan tätigt, sondern schon davor. Ich verstehe den Ramadan als Monat der Spiritualität, der Besinnlichkeit und der Askese.
Es ist nicht Sinn der Sache, dass man tagsüber nichts isst und trinkt, damit man alles am Abend nachholt, wie es leider traditionell so von vielen gemacht wird. Sondern Sinn der Sache ist, dass man den ganzen Monat auf Sparflamme lebt. Nicht als Selbstzweck, also nicht, damit man sich quält, sondern damit man mehr Raum hat für andere Werte. Es gibt nicht nur diese materiellen Werte, nicht nur materielle Bedürfnisse des Körpers, sondern auch ethische, aber auch und vor allem spirituelle Werte, sich zu versöhnen mit sich selbst und der Welt, mit der Umwelt. Das braucht alles Zeit. Dass man sich eine Auszeit nimmt und diese Reise in sich hinein macht und sich Zeit dafür nimmt, dass der Sinn des Fastens.
DOMRADIO.DE: Wie können wir uns vorstellen, wie Sie den Monat verleben, ohne tagsüber etwas zu essen und zu trinken? Wie schaffen Sie es da, zu arbeiten und den Alltag trotzdem zu meistern?
Khorchide: In der Tat wird diese Frage meist gestellt, ob man nicht geschwächt ist. Das stimmt ja auch, dass man ein bisschen "gebrochen" ist, weil man ein bisschen leidet. Aber das ist ja auch Sinn der Sache, dass man ein bisschen Empathie entwickelt mit dem Leid der Leidenden, dass man sieht, wie es ist, wenn man leidet, damit man auch im Alltag außerhalb vom Ramadan diese gelebte Religiosität in ihrer sozialen Dimension und der Ethik lebt. Religiosität ist nicht nur auf dem Gebetsteppich oder dass man jetzt im Ramadan nicht isst und nicht trinkt, sondern diese soziale Solidarität mit armen, bedürftigen Menschen, Leidenden. Und der Ramadan erinnert natürlich, wenn man leidet, auch an das Leid der Leidenden.
Das soll ja dazu beitragen, dass sich auch die Empathie mit den Menschen verstärkt. Aber um auf Ihre Frage genauer einzugehen: Man ist ein bisschen geschwächt, aber auf der anderen Seite gewöhnt man sich ja daran. So schlimm ist das nicht. Die größere Herausforderung ist, diese Bereitschaft mitzubringen, sich selbst den Spiegel vorzuhalten. Denn das ist ja auch Sinn dieser Reise in sich selbst, sich besser kennenzulernen. Und das ist viel schwieriger als wenn ich sage, für zwei Stunden esse oder trinke ich jetzt nichts.
Alles was physisch ist, ist zu bewältigen. Aber diesen inneren "Schweinehund" zu besiegen, neue Vorsätze zu fassen und sich daran zu halten, sich zu disziplinieren, das ist nicht ganz so einfach, das ist schon eine Herausforderung.
DOMRADIO.DE: Wie reagiert man am besten auf muslimische Mitmenschen und wie können wir vielleicht auch als Christen daran teilhaben? Kann man als Außenstehender da irgendwie was falsch machen?
Khorchide: Muslime fühlen sich manchmal etwas als die Fremden, wenn man sie sehr oft während des Ramadan fragt oder sie zwingt sich zu rechtfertigen, warum das so faszinierend ist, wenn es doch so sehr ansrtengt; ob sie nicht lieber so wie die Christen fasten oder überhaupt das Ganze unterlassen. Ich finde es gut, wenn wir auch Anerkennung und Akzeptanz für diese Vielfalt der Formen des Fastens zeigen.
Ich persönlich möchte nicht, dass meine Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz sich extra meinetwegen, weil ich jetzt faste, umstellen oder dass sie denken, dass sie auch selbst nicht mehr zu Mittag essen oder gar nichts mehr vor meinen Augen essen, weil ich faste, sondern sie sollen einfach normal leben.
Natürlich sollen sie jetzt nicht gerade Muslime zum Mittagessen einladen oder zu Feierlichkeiten tagsüber im Ramadan. Man sollte eine gewisse Sensibilität zeigen, dass man weiß, dass bei den Muslimen jetzt Ramadan ist. Aber das Leben sollte einfach weiter funktionieren wie sonst. Da kann man nicht sehr viel falsch machen. Und das ist auch ein Appell an die Muslime selbst. Das sage ich auch meinen Studierenden, weil manche dazu neigen zu meinen, dass man während des Ramadan keine Prüfungen mehr ablegen und nichts mehr leisten kann. Nein, im Gegenteil, jetzt ist die Zeit der Besinnlichkeit, wo man eigentlich auch eher vielleicht Neues in sich findet. Deshalb sollte das Leben möglichst seinen normalen Lauf nehmen.
DOMRADIO.DE: Und das in Zeiten von Corona. Schon das zweite Jahr eingeschränkt. Wie können die Rituale des Fastenmonats bestmöglich begangen werden?
Khorchide: Das ist ein zentraler Punkt, denn normalerweise wird im Ramadan am Abend in der Gemeinschaft extra gebetet. Viele brechen das Fasten am Abend auch in der Gemeinschaft. Diese Aspekte müssen jetzt coronabedingt zurückgefahren werden, so dass man nicht mehr in den Moscheen diese Gebete in der Nacht macht, sondern jeder zu Hause. Auch das Fastenbrechen, jeder zu Hause bei sich.
Ich meine, es gibt ja auch interessante, auch zum Teil lustige Traditionen, die sich entwickelt haben. Da habe ich auch bei manchen Bekannten erlebt, dass sie alle am Abend Zoom aufmachen und sich via Zoom treffen. Jeder sitzt vor seinem eigenen Rechner, aber so, dass man ein bisschen plaudert und mit der Familie im engeren Kreis redet, ohne dass man sich persönlich trifft. Sonst wäre es fatal, wenn gerade im Ramadan das Ansteckungsrisiko steigt.
DOMRADIO.DE: Auf das große Fastenbrechen am 12. Mai, wenn der Ramadan endet, können Sie sich freuen. Fiebert man als Muslim ein bisschen darauf hin?
Khorchide: Sicher ist hier auch Motivation, vor allem für Kinder, weil sie, ähnlich wie an Weihnachten, Geschenke bekommen. Man freut sich ja, dass man nach einem ganzen Monat wieder "normal essen und trinken" kann. Gerade wegen Corona ist es sicher ein Rückschlag, das nicht mehr in Gemeinschaft feiern zu können. Aber das muss man aus gesundheitlichen Gründen in Kauf nehmen, um niemanden zu gefährden.
Und deshalb wird auch der Ramadan etwas eingeschränkt begangen. Aber die Möglichkeiten heute durch das Internet erlauben schon eine gewisse, nicht zu 100 Prozent persönliche Begegnung, Aber es ist schon so, dass man sich zumindest Zeit für Familie und Bekannte nimmt, wo man sich auf Distanz, aber doch persönlich trifft.
Das Interview führte Katharina Geiger.