domradio.de: Sie leben als katholische Christen in der Diaspora in Sachsen-Anhalt. Kann man von solch einem Tag wie heute - an dem 100.000 Christen zusammengekommen sind - einen nachhaltigen Impuls für den Glauben erwarten?
Reiner Haseloff (Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt): Es stärkt auf jeden Fall, wenn wir als Christen in einem Umfeld, das die Kirche nicht mehr als "normal" ansieht, Flagge zeigen. Ich denke, dass wir hier gut akzeptiert sind. In Sachsen-Anhalt gibt es ein gutes Miteinander zwischen Kirchenmitgliedern und Nichtchristen. Wir nehmen hier, mit unserer Möglichkeit, uns weltoffen zu zeigen, für alle eine Chance wahr. Wir haben die Welt mit vielen, vielen Sprachen - die wir hier in den letzten Tagen auf der Straße gehört haben - herzlich in Empfang genommen.
domradio.de: Ist das auch ein bisschen Imagepflege für Sachsen-Anhalt?
Haseloff: Es ist nicht nur Imagepflege, es ist auch ein Zeichen dafür, dass wir uns unserer Geschichte bewusst sind; dass wir das Ursprungsland der Reformation sind und von dort aus viele Dinge - bis in die katholische Welt hinein - als Impuls gegeben haben.
Wir sind UNESCO-Weltkulturerbe. Das strahlt auch in das 21. Jahrhundert aus. Außerdem bringt uns das immer wieder zum Nachdenken, wenn es darum geht, unsere eigenen Wurzeln zu erkennen, aber auch abzuleiten, was für die Zukunft möglich ist.
Katholiken sind fast überall in Deutschland in einer Diaspora, denn wir wissen, wie die Säkularisierung vorangeschritten ist und auch, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Durchmischung der Konfessionen in vielen Regionen eine Rolle gespielt hat. Wir können eigentlich nicht mehr von "Diaspora" und "Nichtdiaspora" sprechen. Christen sind in ihrer eigenen Konfession in der jeweiligen Region in der Minderheit. Trotzdem können wir Sauerteig sein und versuchen, uns als diejenigen darzustellen, die immer noch die Menschen in die Lage versetzen, zu erkennen, warum das Grundgesetz so formuliert ist, wie es ist. Eben in Verantwortung vor Gott und den Menschen zu handeln.
domradio.de: Plädieren Sie dafür, dass man noch stärker in Richtung Einheit der Kirchen geht?
Haseloff: Einheit ist ein Begriff, der nur mit Vielfalt einhergeht. Auch in einem wiedervereinigten Deutschland legen wir großen Wert darauf, dass wir ein föderales System sind und dass 16 gleichberechtigte Bundesländer diese Bundesrepublik bilden. So muss das auch bei den Christen sein. Wir sind alle Christen - uns vereint die Taufe und jeder bringt seine Tradition mit ein - wenn wir das über unseren eigenen Tellerrand des Christseins hinaus in die Welt transportieren, ist das das beste Einheitszeichen, das wir geben können. Wenn wir Kirchentage gemeinsam feiern, wie letztes Jahr auch in Leipzig den Katholischen Kirchentag und wir das ökumenisch tun, ist das genau das Zeichen, worauf die Menschen warten.
domradio.de: Die Reformation ist 500 Jahre her. Nehmen Sie diese Tage in Berlin und Wittenberg auch als Ermutigung auf dem ökumenischen Weg?
Haseloff: Ich denke schon! Die konfessionellen Unterschiede haben bei allen Veranstaltungen nicht vordergründig eine Rolle gespielt - natürlich unabhängig davon, dass jeder versucht, sein Profil und seine Stärken mit einzubringen. Auch die Gottesdienste haben gezeigt, dass wir als Katholiken schon viel in die Liturgie der evangelischen Christen eingebracht haben und umgekehrt. Das Beschäftigen mit der Bibel kann immer ein Band schmieden und Ökumene sehr, sehr gut befördern.
domradio.de: Für das Bundesland Sachsen-Anhalt war es kein Alltagsphänomen, dass über 100.00 Menschen auf einem Fleck zusammen gekommen sind. Was hat das für das Bundesland bedeutet?
Haseloff: Auch auf Grund der medialen Wiederspiegelung ist dies eine große Chance für uns, zu zeigen, was wir für ein tolles Land sind und welche historischen Stätten wir vorzuweisen haben, aber auch welche Infrastruktur wir inzwischen haben, um solche Großveranstaltungen hinzubekommen. Das hat bisher wunderbar funktioniert.
Die Bundeswehr hat gestern zum Beispiel eine Pontonbrücke über die Elbe gespannt, und damit die Altstadt, die klein und überschaubar ist, für jeden zugänglich gemacht. Von Berlin kamen im 10-minuten-Takt die Züge angefahren. Wir empfangen jeden mit offenen Armen. Das ist auch die Botschaft, die wir über den Tag hinaus senden wollen.
Wir haben in Wittenberg auch gerade die Weltausstellung der evangelischen Kirchen präsent. Dort kann noch in den nächsten Monaten alles, was uns verbindet und was uns besonders macht, erschlossen werden. Als Bundesland Sachsen-Anhalt verweisen wir auch darauf, dass Wittenberg nur eine Stätte ist. Wir haben die Geburts- und Sterbestätte in Eisleben, wir haben Mansfeld, wir haben Halle, wir haben Magdeburg. Wir haben viel zu bieten. Hier hat die deutsche Geschichte vor über 1.000 Jahren mit dem ersten deutschen Kaiser Otto dem Großen angefangen. Der liegt übrigens im Magdeburger Dom. All das muss man, wenn man deutsche und europäische Geschichte verstehen will, einfach mal besucht haben. Deswegen lade ich alle herzlich ein, in diesen Monaten zu uns zu kommen.
Das Interview führte Matthias Friebe.