DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Lage vor Ort im Moment?
Christian Hohl (Pfarrer der deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Sydney): Die Leute, die betroffen sind, sind sehr verzweifelt. Aber insgesamt haben wir hier in Sydney selbst relativ Glück gehabt. Es gab Überschwemmungen. Es sind Gemeindeglieder gerade noch so vor den Stürmen nach Hause gekommen. Ich kann seit Monaten kein Fußball spielen. Hier findet alles draußen statt und es ist alles überflutet.
Aber die richtig schlimmen Fluten am Hawkesbury River mit den Orten Windsor oder Lismore sind ein Stück weit weg. Ich kenne den Hawkesbury River, den überquere ich jeden Monat einmal, wenn ich an die Central Coast zum Gottesdienst fahre. In den Gemeinden gab es sofort Initiativen, bei denen man Unterkünfte zur Verfügung stellt und Hilfe vor Ort anbietet.
Ohnehin ist Australien ein Land, was dadurch fasziniert, dass man anpackt. Die Nachbarn helfen kräftig mit, egal wo Unterstützung nötig ist. Da stehen Motorboote, die normalerweise auf dem Meer unterwegs sind, zur Verfügung, ebenso Ruderboote oder Kajaks, um den Leuten vor Ort zu helfen. Man hilft mit, die Häuser freizuräumen, die Leute zu evakuieren. Es gibt hier Freiwilligendienste, aber auch die Feuerwehr und professionelle Dienste, die bei Stromausfällen eigentlich ganze Stadtteile in kürzester Zeit wieder angeschlossen bekommen.
DOMRADIO.DE: Inwiefern beeinflusst der Regen das Gemeindeleben bei Ihnen? Bekommen Sie da was mit?
Hohl: Das Gemeindeleben ist glücklicherweise nicht so stark betroffen. Diese Woche war es aber mancherorts unmöglich, mit dem Auto zu fahren. Ich bin ein Stück gefahren und plötzlich stand das Wasser vier Zentimeter hoch auf der Straße. Aqua Planing ist da eine kleine Nummer gegen. Das Wasser sammelt sich, denn viele Straßen sind ein bisschen schräg, sodass schon auf der Straße handbreit Wasser stand. Es haben sich Löcher gebildet. In den Straßen sind überall Schlaglöcher entstanden. Damit ist die Verkehrsfähigkeit, die hier in der Groß-Gemeinde ganz wichtig ist, nicht mehr gegeben.
Ich habe hier ein Gebiet zu betreuen, das etwa so groß wie Rheinland-Pfalz ist. Ganz New South Wales allein ist doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Theoretisch ist das mein Arbeitsgebiet, aber so weit fahre ich nicht.
Es war schwierig, sich gegenseitig zu besuchen. Es war schwierig, Termine wahrzunehmen. Es gab zum Teil Verspätungen, Verstopfungen und so weiter. Die Innenstadt war stundenweise durch irgendwelche Überschwemmungen blockiert.
Man muss sich das hier als eine Berg- und Tallandschaft vorstellen. Das heißt, wir sind an der Küste und innerhalb von wenigen hundert Metern fährt man ganz hoch und dann wieder ganz tief runter. Und im Tal steht eben das Wasser und das kann auch mal einen halben Meter hoch stehen. Man ist darauf normalerweise vorbereitet. Aber das war so etwas wie eine Jahrhundertflut. Die einen sagen, seit Jahrzehnten gab es das nicht. Andere sagen, seit Menschengedenken kennt man das hier nicht. Also, das war schon sehr extrem.
DOMRADIO.DE: Der Dauerregen hört immer noch nicht auf. Das Wasser kann innerhalb von Minuten steigen, alle Staudämme sind voll. Es sind auch einige Menschen gestorben. Die Flut ist ja nicht die erste Naturkatastrophe in der Region. Vorher waren es Dürren und Waldbrände. Was macht das mit den Menschen in Australien?
Hohl: Seit Donnerstag scheint in Sydney selbst wieder die Sonne. Das macht schon einen Riesenunterschied. In anderen Gebieten ist von Sonnenschein allerdings noch nichts zu sehen. Die Leute kehren aber dennoch langsam zurück. Naturkatastrophen gehören zum Land dazu. Ich würde sagen, Australien ist das Land der Extreme.
Als ich vor zweieinhalb Jahren hierher kam, hatten wir den längsten Buschfeuer-Sommer, den es je gab. Und der Sommer fing im Winter an. Wir sprechen von sieben, acht Monaten ununterbrochenen Buschfeuern. Normalerweise wird im Juli und August sogenanntes "Backburning" gemacht. Das heißt, es werden kleine Stücke weggebrannt, damit das zu erwartende Feuer "nichts zu fressen hat" und sich nicht ausbreiten kann. Das war aber gar nicht möglich, weil die "Brand-Saison" so früh anfing. Man sprach hier vom "Black Summer". Also, das war die größte Katastrophe an Buschfeuern, die man auch jemals erlebt hatte.
Das Feuer wurde damals bereits quasi durch Stürme und Regenfälle gelöscht. Die Regenfälle hier sind sonst auch extrem, aber nicht so wie diese zwei verregneten Sommer hintereinander und besonders dieser jetzt. Für die Australier gehört das zum Leben aber dazu. Damit leben sie und sie sagen, sie schaffen es, damit umzugehen.
Das ist eine Durchhaltementalität, die in Richtung Sozialdarwinismus ausschlagen kann. Man sagt sich, das Gute überlebt und dann ist halt die Hälfte des Waldes von New South Wales abgebrannt und die Hälfte der Koalas gestorben, aber wir werden uns schon wieder irgendwann berappeln. Dabei hat es lange gedauert, bis die Koalas auf die Schutzliste kamen, denn der Bestand ist heftig bedroht.
Das Interview führte Julia Reck.