Erster Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vor 70 Jahren

Dichter, Denker und Debatten

Er gilt als einer der renommiertesten Literaturpreise der Welt: der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Vor 70 Jahren wurde er das erste Mal vergeben. Bis heute ist die feierliche Verleihung stets ein Ereignis.

Autor/in:
Paula Konersmann
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird auch dieses Jahr verliehen / © Chinnapong (shutterstock)
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird auch dieses Jahr verliehen / © Chinnapong ( shutterstock )

Die Dystopien-Autorin Margaret Atwood, das Forscherpaar Aleida und Jan Assmann, der Bildkünstler Sebastiao Salgado: So beeindruckend wie diese drei zuletzt geehrten sind viele Persönlichkeiten, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben. Ihre Werke haben Menschen bewegt und Debatten angeregt. Die erste Verleihung jährt sich am 3. Juni zum 70. Mal.

Zuvor hatte den Schriftsteller Hans Schwarz ein Buch tief bewegt: "Glaube an den Menschen" von Max Tau, einem jüdischen Verleger, der 1938 nach Norwegen geflüchtet war. Schwarz sah in ihm einen "Botschafter zwischen zwei Welten", der die jüngste Geschichte in einer Weise beschrieb, zu der damals "allerhand Mut" gehörte. "Leider waren die Menschen bei uns damals noch nicht so weit, sich davon überzeugen zu lassen", schrieb Schwarz.

Ihm gelang es, einige Verleger zu überzeugen, dass Tau einen Friedenspreis verdient habe. Die deutschen Verleger mussten ihn stiften, so Schwarz, und damit einen "Akt guten Willens gegenüber der Außenwelt" begehen. Tau erhielt den "Friedenspreis Deutscher Verleger" in einem Privathaus bei Hamburg.

Veranstaltung im Radio übertragen

Die Veranstaltung wurde - damals äußerst ungewöhnlich - live im Radio übertragen, da Laudator Adolf Grimme auch Intendant beim Nordwestdeutschen Rundfunk war. Die Aufmerksamkeit, die der Auszeichnung dadurch zuteil wurde, ist bis heute geblieben, sagt Martin Schult, Referent für den Friedenspreis im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der die Auszeichnung seit 1951 verleiht. Ebenso wollen die Initiatoren der Verantwortung aus der Geschichte auch künftig gerecht werden.

Seit 1969 stehen die sogenannten Widerreden der Preisträger bei der Ehrung in der Frankfurter Paulskirche im Mittelpunkt, wie Schult berichtet. Auch das Vorschlagsrecht ist seitdem öffentlich, die Jury breiter ausgestellt. Die Preisträger würden «mitunter zu Seismografen für gefährliche Entwicklungen in unserer Gesellschaft», sagt die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs.

Hitzige Debatte

Eine der Debatten, die sich in das öffentliche Gedächtnis eingebrannt haben, war jene von 1998. Auslöser war insbesondere ein Satz von Preisträger Martin Walser: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung". Während die Gäste applaudierten, saßen zwei Gäste wie versteinert da: der Präsident des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, und seine Ehefrau - zwei Holocaust-Überlebende. Später entzündete sich eine hitzige Debatte über die Walser-Äußerungen. Bubis sprach vom "Versuch, Geschichte zu verdrängen beziehungsweise die Erinnerung auszulöschen», und von «geistiger Brandstiftung".

Diese Kontroverse war nicht die erste im Zusammenhang mit dem Friedenspreis. Bereits im Vorfeld der Auszeichnung 1968 kam es zu öffentlichem, auch gewalttätigem Protest: Preisträger Leopold Sedar Senghor, Dichter und erster Präsident des Senegal, sei ein "Despot", lautete die Kritik. Auch die Ehrung 1980 für Ernesto Cardenal - Poet, Priester und Befreiungstheologe aus Nicaragua - fand nicht nur Zustimmung. Fünf Jahre später suspendierte Papst Johannes Paul II. den Nonkonformisten vom Priesteramt; erst 2019, knapp ein Jahr vor Cardenals Tod, hob Papst Franziskus diese Sanktion auf.

Das Miteinander von Religionen und Kulturen sei von Beginn an prägend für den Friedenspreis gewesen, sagt Experte Schult. In den ersten Jahren wurden mit Romano Guardini (1952) und Martin Buber (1953) gleich zwei Religionswissenschaftler ausgezeichnet. Für Kritik sorgte 1995 die Ehrung der die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel.

Salman Rushdie habe mit seinem Buch "Die Satanischen Verse" auf "sehr üble Art" die Gefühle von Muslimen verletzt, sagte Schimmel damals über den Schriftsteller, der wenige Jahre zuvor mit einer Fatwa zum Tode verurteilt worden war. Rushdie, der bis heute unter Polizeischutz lebt, gilt als Ikone der Meinungsfreiheit - und so kam es innerhalb des Börsenvereins zu Protesten gegen die Preisverleihung. Schimmel entschuldigte sich später mit der Anmerkung, sie sei ein "absolut unpolitischer Mensch".

Islam und Meinungsfreiheit als Dauerthema

Der Islam und die Meinungsfreiheit - spätestens mit dem 11. September 2001, als beim Anschlag auf das World Trade Center in New York fast 3.000 Menschen starben, wurde daraus ein Dauerthema. Wenige Wochen danach versuchte Friedenspreisträger Jürgen Habermas, ein Erklärungsmodell für religiösen Fanatismus zu entwickeln. Seine Rede habe der Philosoph kurzfristig umgeschrieben, sagt Schult. "Sie wurde im Anschluss häufiger verkauft als jede andere Rede." Kein Wunder, habe es sich doch um eine der ersten philosophischen Stimmen zur damaligen Weltlage gehandelt.

Habermas war der zweite Preisträger, bei dessen Ehrung sowohl Bundespräsident und als auch Bundeskanzler anwesend waren. Erstmals war dies 1989 der Fall, als Vaclav Havel die Auszeichnung wegen Ausreiseverbots aus der Tschechoslowakei nicht persönlich entgegennehmen konnte. "Um seinen leeren Stuhl gruppierte sich die ganze politische Prominenz - ein wichtiges Zeichen der Solidarität", so Schult. Havels Rede, verlesen von Maximilian Schell, fand großes internationales Echo - ein Schritt auf dem Weg zum Ende des Eisernen Vorhangs. Bewegend war auch die Preisverleihung an den Holocaust Überlebenden Saul Friedländer, der 2007 die letzten Briefe seiner Familie aus den NS-Konzentrationslagern verlas.

Friedenspreis wird auf jeden Fall verliehen

Prognosen, welche Themen die Welt in einem halben Jahr bewegen werden, seien angesichts der Corona-Pandemie schwierig, räumt Schult ein. Angesichts der drohenden sozialen Entwicklungen werde das Ringen um Frieden jedoch wichtig bleiben. Fest steht daher, dass der Friedenspreis verliehen werden soll - und das in der Paulskirche. Dies wäre auch dann angemessen, "wenn sie leer oder halb gefüllt sein müsste", sagt Schmidt-Friderichs.

Erstaunlich aktuell klingen in diesem Zusammenhang die Worte aus der allerersten Laudatio von Adolf Grimme: "Der Mensch ist einsam geworden. Er kann alle technischen Verbindungen in einem Augenblicke herstellen, aber die einzige Verbindung, die ihm unentbehrlich ist, die Verbindung zum Menschen, ist abgebrochen."


Quelle:
KNA