Der Name Schönborn hat in Mitteleuropa einen besonderen Klang. Das alte Adelsgeschlecht stellte über Jahrhunderte Fürstbischöfe im süddeutschen Raum. Als Erzbischof von Wien und Kardinal der Römischen Kirche war Christoph Schönborn bei seiner Ernennung 1995 eine beinahe logische Besetzung.
Nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze des Wiener Erzbistums und 22 Jahren im Vorsitz der Österreichischen Bischofskonferenz nähert sich nun die "Ära Schönborn" ihrem Ende. Schon einige Monate vor seinem 75. Geburtstag am 22. Januar hatte er dem Papst im Vatikan persönlich sein altersbedingtes Rücktrittsgesuch übermittelt - das dieser allerdings erst einmal nicht annahm. Auch der angekündigte Rückzug vom Amt des Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz konnte zunächst nicht vollzogen werden. Wegen der Corona-Pandemie wurde die für Mitte März geplante Vollversammlung der Bischöfe auf Mitte Juni verschoben, sie wird nun einen neuen Vorsitzenden wählen.
Große Fußstapfen
Wer Schönborn als Vorsitzendem und wer ihm als Erzbischof von Wien nachfolgen wird, ist Gegenstand von Spekulationen. Die Fußstapfen sind jedenfalls groß. Schönborn ist über Österreich hinaus eine Institution, ähnlich wie sein Vorvorgänger Franz König (1956-1985). Als er 1995 den nach Missbrauchsvorwürfen zurückgetretenen Kardinal Hans Herrmann Groer beerbte, stand Schönborn vor einer schweren Aufgabe. Das Ansehen der Kirche war erschüttert, es gab Flügelkämpfe zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften.
Wirklich befrieden konnte Schönborn diesen Richtungsstreit nicht, trotz seiner ausgleichenden Persönlichkeit. Doch war es wohl sein Verdienst, dass es nicht zum offenen Bruch kam. Für die damals in Österreich noch starken konservativen kirchlichen Kräfte war er - trotz seiner Kontakte ins progressive Lager - auch deshalb ein Garant der Rechtgläubigkeit, weil er einst federführend am Katechismus der Katholischen Kirche mitgearbeitet hatte. Durch seine Hände ging die Endredaktion dieses 1992 erschienenen Dogmenkatalogs, in dem Johannes Paul II. verbindlich festhalten wollte, was Katholiken am Ende des 20. Jahrhunderts glauben sollten.
"Groß-Theologe" in der Liga von Ratzinger oder Kasper
Seit jener Zeit ist der frühere Dogmatikprofessor einer der prominenteren Köpfe, ein "Groß-Theologe" in der Liga von Ratzinger oder Kasper. Weltweit bekannt wurde er durch einen Beitrag zur Debatte um die Evolutionstheorie. 2005 kritisierte er in der New York Times den klassischen Darwinismus, der die Resultate der Evolution als bloße Zufallsprodukte interpretiert. Dem setzte der Kardinal den Begriff eines "Designs" des Schöpfers entgegen, das in diesen Resultaten zu erkennen sei. Kritiker sahen darin eine Art Neo-Fundamentalismus.
Mit den amtierenden Päpsten geriet Schönborn nie in Konflikt. Er diente Johannes Paul II. ebenso wie Benedikt XVI. und Franziskus. Allerdings hat sich der Fokus seines Lehrens merklich verschoben: Ging es früher mehr um dogmatische Fragen, liegt der Akzent jetzt mehr auf Barmherzigkeit und der seelsorgerischen Fall-zu-Fall-Unterscheidung. Diese ursprünglich jesuitische Methode hat sich der Dominikaner rasch zu eigen gemacht. Auch seine Stellungnahmen zu "heißen" Themen wie der moraltheologischen Bewertung von Homosexualität sind weicher geworden.
Bereitschaft für Veränderungen
Konservative Kirchenvertreter warfen Schönborn mitunter vor, ein Wendehals zu sein, der seine rechtgläubigen Positionen verraten habe. In jüngerer Zeit hat er sich für Veränderungen bereit gezeigt: Bei der Familiensynode unterstützte er die Öffnung für wiederverheiratete Geschiedene und bei der Amazonas-Synode die Forderung nach Ausnahmen vom Priesterzölibat. Dabei betont er stets die Kontinuität mit der überlieferten Lehre, die es unversehrt zu bewahren gelte.
In der zweiten Welle der Missbrauchskrise nach 2010 gelang es ihm abermals, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. In einem TV-Gespräch mit der früheren Ordensfrau Doris Reisinger, die nach eigener Darstellung Opfer sexueller Übergriffe war, damit aber vor Gerichten bislang keine Anerkennung fand, brach Schönborn im Gespräch das Eis, indem er sagte: "Ich glaube Ihnen das." Später stellte er freilich klar, dass er diesen Satz eher als Sseelsorger gesagt habe - und nicht im Sinne einer juristischen Anerkennung ihrer Vorwürfe. Den stetigen Rückgang der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche in Österreich hat der intellektuelle und polyglotte Seelsorger nicht aufhalten können. In Wien liegt der Katholikenanteil jetzt deutlich unter 50 Prozent; er hat sich in 50 Jahren halbiert.
Die weitere Entwicklung wird der Wiener Kardinal vermutlich aus einer gewissen Distanz verfolgen. Er könne sich seinen Ruhestand im Dominikanerkloster in Retz vorstellen, ließ er verlauten. Dann wäre er weiter weg von Wien und ein wenig näher an seiner alten böhmischen Heimat, aus der er mit seiner Familie vor fast 75 Jahren vertrieben wurde.