Regierungschefin Sturgeon fordert neues Unabhängigkeitsreferendum

Die Schotten wollen bleiben

​Die Schotten wollen in der EU bleiben. Durch den Brexit, erst recht ohne Deal, können ihre Fliehkräfte weg von Großbritannien neuen Antrieb bekommen. Schottlands Regierungschefin will ein neues Unabhängigkeitsreferendum.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Schottland? (dpa)
Ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Schottland? / ( dpa )

Der Hickhack um den Brexit hat zwei Konstanten: Die Engländer wissen nicht, was sie wollen; und die Schotten wissen, was sie wollen - nämlich in der EU bleiben.

Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon will ein neuerliches schottisches Referendum noch vor 2021. Die Wahl soll lauten: Brexit mit den Briten - oder eine schottische Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich.

Ein erstes Unabhängigkeitsreferendum war 2014 gescheitert. 55,3 Prozent der Wahlberechtigten votierten für einen Verbleib Schottlands bei Großbritannien; die Beteiligung lag damals bei 84,6 Prozent. Doch durch die britische Farce um den Brexit bekommen diese Fliehkräfte nun neuen Antrieb. Denn beim Brexit-Referendum im Juni 2016 stimmten in Schottland 62 Prozent für den Verbleib in der EU.

Raus aus dem Vereinigten Königreich - rein in die EU

Ein wichtiger Faktor für das Befinden der Schotten im Vereinigten Königreich ist der Londoner Zentralismus; sie fühlen sich traditionell von Westminster dominiert.

Schon beim Unabhängigkeitsreferendum 2014 stellte sich - ohne den Brexit - die Frage der EU-Mitgliedschaft. Ein unabhängiges Schottland hätte wohl - anders als ein dann verkleinertes Großbritannien - neu um eine Aufnahme als 29. EU-Staat anfragen müssen.

Durch den Brexit liefe die Frage nun auf andere Weise: Die Briten gehen raus - und wenn die Schotten die EU trotzdem wollen, brauchen sie sowohl die Unabhängigkeit von London als auch ein neues Beitrittsverfahren. All diese Schritte wären maximal kompliziert - zuzüglich der Fragen nach der eigenen Wirtschaftsleistung, dem Bankensystem, von Währung, Außenpolitik, Sicherheit etc.

Der religiöse Graben zwischen Hoch- und Tiefland

Seit König Jakob VI. von Schottland 1603 zu Jakob I. von England wurde, haben Schotten und Engländer denselben Monarchen. Und obwohl Schottland seit dem Unionsvertrag von 1706 ein Teil des Vereinten Königreiches ist, hat es sich seine sehr eigene Identität bewahrt.

Dabei ist Schottland selbst kein in sich homogenes Land - und ist es nie gewesen.

Der geistige Graben zwischen Hochland und Tiefland besteht schon seit der Schlacht zwischen Römern und Kaledoniern im Jahr 83. Besonders tief war er im 18. Jahrhundert in der Zeit der konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten, nachdem König Jakob II. (1685-1688/89) die gefestigte Stellung der Stuarts durch eine stark prokatholische Politik verspielte.

Das Misstrauen gegenüber den Highlandern blieb: Diese sprachen eher Gälisch als Englisch, waren eher katholisch als presbyterianisch - und tendenziell Jakobiten.

Zwei sogenannte Jakobiten-Aufstände in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts versuchten, die Herrschaft der Stuarts wiederherzustellen. Nach deren Niederschlagung setzte eine Auswanderung aus dem Hochland nach Amerika sowie eine zunehmend brutale "Befriedung" der Highlands ein. Praktisch hieß das: Säuberungswellen sorgten für weniger Menschen und immer mehr Schafe.

Noch mehr von der Mentalität des Festlands unterscheiden sich die nördlichen Inseln Orkney und Shetland. Sie gehörten ursprünglich zu Norwegen und kamen erst im späten 15. Jahrhundert an Schottland.

Ein neues Schottland: mit Öl und ohne britische Atom-U-Boote

Shetland ist heute ein Zentrum der nationalen Ölindustrie; die Insel könnte maßgeblich zum Bruttoinlandsprodukt eines unabhängigen Schottlands beitragen.

Viele Schotten wünschen sich auch - was Großbritannien nicht hat - eine geschriebene Verfassung, auf die sie sich berufen könnten. Und sie wollen auch keine britischen Atom-U-Boote mehr, wie sie bei Glasgow im Hafen liegen.

Die Schotten wollen ihre Dinge selbst regeln - ohne London, aber in der EU. Das schließt auch ein, womöglich ihre eigenen Fehler zu machen. In puncto Fehlermachen freilich könnten sie derzeit doch aber auch noch eine Menge von London lernen.


Quelle:
KNA