DOMRADIO.DE: Warum hat unter anderem Misereor vor ein paar Tagen dazu aufgerufen, Moïse nicht mehr zu unterstützen? Was werfen Sie ihm vor?
Barbara Küpper (Länderreferentin bei Misereor): Wir sehen uns als Sprachrohr unserer Partnerorganisationen und der Menschen, die von diesen Organisationen begleitet werden. Und seit circa vier Jahren sind die Umstände im Land nicht mehr auszuhalten. Das teilen uns unsere Partnerorganisationen natürlich immer mit. Die Vorwürfe gegen den Präsidenten waren in erster Linie Korruption und Geldwäsche. Es gab viele Skandale im Land. Es gab viele politische Unruhen.
Aber auch die Gewalt nahm in den letzten Wochen und Monaten eigentlich so zu, dass es für uns als Partnerorganisationen hier nicht mehr mit anzusehen war, dass dieser Präsident, der dafür verantwortlich war, auch noch Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft bekam.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn der Alltag derzeit in Haiti aus? Welche Auswirkungen hat diese Politik?
Küpper: Es magelt an allem. Ein Großteil der Haitianer lebt wirklich in einer Nahrungsmittelkrise, verfügt kaum noch über das, was man zum täglichen Leben braucht. Dazu kam die Gewalt im Land, die jetzt in den letzten Monaten dramatisch eskaliert ist.
Es gab viele Entführungen. Es gab aber auch eine zunehmende Anzahl von Banden, die untereinander Kriege ausgeführt haben, aber auch ganze Stadtviertel terrorisiert haben. Mittlerweile sind Tausende von Menschen aus bestimmten Stadtvierteln geflohen. Die Angst geht einfach im Land um, die Angst um das bloße Überleben.
DOMRADIO.DE: Misereor ist dort in der Entwicklungszusammenarbeit mit örtlichen Partnern aktiv. Wie läuft denn deren Arbeit momentan? Sind die davon auch betroffen?
Küpper: Das ist schon ein bisschen unterschiedlich. Die Gewalt konzentriert sich in erster Linie auf die Hauptstadt Port au Prince. Wir arbeiten viel mit ländlichen Organisationen, die eher weit entfernt von der Hauptstadt arbeiten. Von denen hören wir, dass sie, so gut es geht, versuchen ihre Aktivitäten umzusetzen und sehr dankbar für die Unterstützung von Misereor sind. Denn die Ernährungssituation ist sehr schlecht. Aber dank unserer Projekte können sie zumindest da weitermachen und sich und ihre Familien weiterhin selbst versorgen.
DOMRADIO.DE: Wie könnte es jetzt politisch weitergehen? Ist da ein Hoffnungsträger in Sicht?
Küpper: Das ist ein bisschen schwierig. Seit Montag gibt es einen neuen Ministerpräsidenten, der ernannt worden ist. Man weiß noch nicht, was jetzt passiert, welche Funktion er übernehmen wird.
Die Zivilgesellschaft hatte sich im Vorfeld eigentlich schon organisiert und einen Übergangsprozess vorgeschlagen, denn in Haiti sollten Ende September Wahlen stattfinden und ein Referendum für eine neue Verfassung, die aber von der Zivilgesellschaft so in keinster Weise zu akzeptieren war.
Aber angesichts der dramatischen Situation sind ordentliche Wahlen derzeit auch überhaupt nicht organisierbar.
DOMRADIO.DE: Seit Jahrzehnten versinkt Haiti in Korruption und Gewalt und Armut. Ist denn da in irgendeiner Weise ein Ausweg aus diesem Elend in Sicht?
Küpper: Heute ist das natürlich besonders schwer zu sagen, denn dieser Tag kann in verschiedene Richtungen Auswirkungen haben. Ich denke, die Hoffnung ist noch nicht gestorben. Allerdings hängt das auch ein bisschen davon ab, wie sich die internationale Gemeinschaft gegenüber Haiti verhält. Ob man jetzt endlich auch mal genauer hinschaut, denn diese ganzen Akte der Gewalt sind in den letzten Monaten eigentlich nicht gehört worden und die Unterstützung war falsch.
Man hat immer Wahlen befürwortet. Haiti braucht sicherlich Unterstützung, wenn es einen guten Weg gehen will. Und der liegt sicherlich darin, dass jetzt erst einmal wieder die Rechtsstaatlichkeit hergestellt werden muss und die Bevölkerung wieder ein Stück Macht bekommt, was in letzter Zeit leider überhaupt nicht der Fall war.