DOMRADIO.DE: Wie haben Sie diese Weihe erlebt? Was ging Ihnen im Moment der Segnung durch den Kopf?
Nikodemus Schnabel (Neuer Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Am intensivsten war der Moment, an dem ich eine fast intime Form des Gebets hatte, das war die Allerheiligenlitanei. Ich hatte eine Kapuze auf, ich lag am Boden, hab quasi nur gehört. Fast wie von ferne hörte ich dann, wie alle in der Kirche für mich bitten und die Allerheiligen herab rufen.
Dann liegt man da und es geht einem vieles durch den Kopf. Das ist schon sehr berührend. Man erlebt auch seine eigene Gebrochenheit, Schwachheit. Dann wird man aufgerichtet.
Nach diesem Moment kommt das Weihegebet zur Überreichung der Insignien. Das ist schon eine emotional sehr intensive Form.
Ganz eigens hat es mich auch noch berührt, dass meine Migranten und Asylsuchenden sehr intensiv beteiligt gewesen waren. Da war ein Abschiedsschmerz und eine Dankbarkeit, dass ich die letzten zwei Jahre diesen Menschen dienen durfte.
DOMRADIO.DE: Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, hat gesagt, das sei ein bedeutender Moment für alle Katholiken in Jerusalem. Das heißt, Sie werden auch in Zukunft nicht ausschließlich auf ihre Mönchsgemeinschaft schauen. Das könnte man eigentlich von einem Benediktiner-Abt erwarten, oder?
Schnabel: Nein, das hat der Patriarch auch im Vorfeld sehr klargemacht. Dann hat er es in der Liturgie auch noch einmal klargemacht, was ich in dieser Form nicht erwartet hätte. Ich werde mich auch in den nächsten Tagen mit ihm treffen. Und zwar genau unter diesen neuen Vorzeichen.
Ich hatte mich oft mit ihm als einer seiner Stellvertreter für die Migranten und Asylsuchenden getroffen. Er hat mir gesagt, zunächst kommt die Weihe und später reden wir darüber, wie es aus der Perspektive des Patriarchats in der Ortskirche mit mir weitergeht.
Im Vorfeld hatte er schon gesagt, dass er mich nur ungern ziehen lässt, aber natürlich die demokratische Wahl meiner Brüder respektiert, die er auch nachvollziehen kann. Er sagte, er gönne mir dieses Amt auch von Herzen und stehe dahinter, habe aber eine Bitte. Er erwarte, dass ich weiter in der Ortskirche präsent sei und nicht nur als Oberer meiner Brüder fungiere.
DOMRADIO.DE: Am Pfingstmontag haben Sie sich gegen eine Verteufelung in der Kirche ausgesprochen. Wir müssten es hinkriegen, auch andere Meinungen innerhalb der Kirche aushalten zu können. Sie sagen, im Kloster funktioniert das ganz gut. Fehlt uns das in Deutschland, dieses Nebeneinander-stehen-lassen können von unterschiedlichen Ansichten?
Schnabel: Genau. Das war mir ein Anliegen, das auch in den Exerzitien, gerade während dieser Tage der Vorbereitung, in mir aufgekommen war. Mein Kloster ist wirklich denkbar bunt, egal ob wir über Kirchenpolitik oder Theologie reden oder über die Gründe, aus denen meine Mitbrüder jeweils Mönch geworden sind.
Es ist ein sehr, sehr bunter Haufen. Aber ich finde es stark, dass wir um den selben Altar sind versammelt. Wir sind immer wieder gemeinsam vereint im Gebet und stellen uns gemeinsam in die Gegenwart Gottes.
Diese Gottsuche ist unser Zentrum, gemeinsam mit dem Ertragen der charakterlichen und körperlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen der anderen. Das steht in der Benediktsregel. Da bin ich mit vorn dabei. Auch ich habe charakterliche und körperliche Schwächen. Dann wiederum blicke ich auf die Kirche.
Gerade wenn ich in Deutschland bin, merke ich, wie tief die Gräben sind. Die einen sagen, die Konservativen seien die Bremser und ewiggestrig. Die anderen sagen, diese Reformer seien gar nicht mehr katholisch. Man redet gar nicht miteinander. Man hat die anderen schon in eine Schublade gesteckt und abgeschrieben.
Ich bat meine Brüder darum, dass wir im guten Sinne gemeinsam prophetisch Zeugnis dafür ablegen, dass wir, auch wenn wir kirchenpolitisch höchst verschieden sind und theologisch ganz verschiedene Ansichten haben, trotzdem gemeinsam unter einem Dach leben, beten, essen auch arbeiten.
Das ist auch mein Wunsch für die Kirche in Deutschland, dass wir irgendwie den anderen noch mal neu entdecken und aus diesen Schubladen befreien.
Es ist eben nicht alles schwarz und weiß, es gibt auch viele Grautöne. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir uns bemühen, die Position des anderen zu verstehen und vielleicht auch zu stärken.
Diese Bewahrer haben einen ganz wichtigen Punkt. Wir haben eine sehr lange Tradition, in der wir stehen. Die ist kostbar und mit der sollten wir auch sehr sensibel umgehen.
Genauso haben die Reformer einen ganz, ganz wichtigen Punkt. Wir müssen manche Fragen offensiv angehen. Auf den großen Skandal des Missbrauchs, auf diese tiefe Erschütterung müssen wir Antworten finden. Es gilt, gemeinsam darum zu ringen und gemeinsam auf der Suche zu bleiben. Das ist mein großer Wunsch.
DOMRADIO.DE: Bischöfe werden wegen Fehlverhaltens immer wieder zum Rücktritt aufgefordert. In Deutschland ist vor kurzem auch ein Benediktiner-Abt aus ähnlichem Grund zurückgetreten. Wenn Sie jetzt auf diese Zeit blicken, die vor Ihnen liegt, wird Ihnen da ein bisschen mulmig?
Schnabel: Tatsächlich beschäftigen mich jetzt eher andere als innerkirchliche Fragen. Wir sind hier eine kleine Minderheit. Aber mit Blick auf die Ökumene und in vielem anderen ist es fast schon paradiesisch, weil die Christen hier so wenige sind, dass wir gut zusammenrücken. Man hat auch bei der Abtsweihe gesehen, wie bunt die Christenheit vertreten war.
Es war ja keine rein katholische Veranstaltung. Es waren auch orientalisch-orthodoxe oder orthodoxe Christen und Lutheraner da. Das war eine große Vielfalt vieler verschiedener Sprachen, aber auch Religionen. Viele jüdische und muslimische Freunde waren da. Das war schon stark.
Mich beschäftigt eher der wachsende nationalreligiöse Extremismus. Es gibt leider immer mehr Menschen, die es nicht, wie ich, wunderbar finden, dass Jerusalem ein Sehnsuchtsort gleich dreier Religionen und ein wunderbar komplexer Ort ist.
Vielmehr wollen die jetzt einmal "aufräumen" und Jerusalem als eine rein jüdische, rein christliche oder rein muslimische Stadt aufstellen.
Gerade haben leider diejenigen, die es gern rein jüdisch hätten, Aufwind. Sie sitzen auch in der Regierung. Dieser wachsende Hass gegen uns beschäftigt mich eher, um seelisch nicht zu vergiften. Stattdessen gilt es, uns nicht zum Gegenhass hinreißen zu lassen.
Dormitio und Tabgha, unsere beiden Klöster, sollen zwei Orte sein, an denen wir nicht fragen, was deine Religion, was deine Staatsbürgerschaft, was dein legaler Aufenthaltsstatus, was deine Hautfarbe ist. Wir glauben, dass jeder Mensch nach dem Abbild Gottes geschaffen ist. Das war sozusagen mein Dankeswort, mein erster Gedanke.
Jeder Mensch hat das Recht, dass wir ihn in seiner ganzen Würde empfangen, willkommen heißen. Unsere beiden Klöster sollen Orte sein, die den Frieden ausstrahlen, der im Heiligen Land so bitter nötig ist.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.