Der Trend geht seit Jahren bergab: Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist 2017 erneut gesunken, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Mittwoch in ihrem umfangreichen Jahresbericht dokumentiert. 2.594 Organe wurden 2017 gespendet, die Zahl der Spender sank auf 797 - der niedrigste Stand seit 20 Jahren.
Die DSO-Vorstände Axel Rahmel und Thomas Biet sprachen von einer ernüchternden Bilanz und "einer Tragödie, vor allem für diejenigen, die dringend auf eine Transplantation warten".
Grundlegender Systemwechsel?
Um den Trend umzukehren, haben Union und SPD im Koalitionsvertrag organisatorische Verbesserungen in den Kliniken vereinbart. Doch immer mehr Politikern und Gesundheitsexperten reicht das nicht: Ende März sprach sich der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, für einen grundlegenden Systemwechsel in der Transplantationsmedizin aus.
Montgomery, aber etwa auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Georg Nüßlein (CSU), fordern mittlerweile die Einführung der sogenannten Widerspruchslösung, die von der Politik, aber auch von den Kirchen bislang deutlich abgelehnt wurde. Nur wer ausdrücklich widerspricht, käme dann im Fall eines Falles nicht als Organspender in Frage. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied zur bisherigen Regelung, bei der jeder Bürger einer Organspende ausdrücklich im Vorfeld zustimmen muss. Organentnahme würde damit zum Regelfall gemacht.
"Aus medizinischer Sicht, vor allem aber aus Sicht der vielen schwerkranken Patienten auf der Warteliste wäre eine solche Regelung der Idealfall", sagte der Ärztepräsidentkürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Nüßlein sieht Handlungsbedarf, weil die bisherige Regelung gescheitert sei.
Diskussion um Pflicht zur Organspende
Schon seit den Anfängen der Transplantationsmedizin wird darüber diskutiert, ob es eine Pflicht zur Organspende gibt und wer potenzieller Organspender ist. Deutschland hat sich 1997 im Transplantationsgesetz für eine "erweiterte Zustimmungslösung" entschieden: Nur wer zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat, ist ein potenzieller Spender. Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, im Sinne des Patienten über eine Entnahme zu entscheiden.
Deutschland steht mit dieser Regelung allerdings in Europa ziemlich alleine da. Nach einer Übersicht der Krankenkassen haben 17 europäische Staaten die Organspende auf dem Weg der Widerspruchslösung geregelt, darunter auch Belgien, Luxemburg, Frankreich, Österreich und Polen. In den Niederlanden ist die Einführung der Widerspruchslösung zu Jahresbeginn beschlossen worden, in der Schweiz soll es dazu bald eine Volksabstimmung geben.
Katholische Kirche gegen Widerspruchslösung
Für die katholische Kirche in Deutschland ist eine Widerspruchsregelung bislang nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben - sonst könne man nicht mehr von einer Spende sprechen.
Auch Lauterbach ist sich bewusst, dass eine Widerspruchsregelung das Misstrauen gegenüber der Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte.
Der SPD-Politiker fordert deshalb, dass alles getan werden müsse, um ein Nein zur Organspende auch verlässlich zu dokumentieren - etwa im Führerschein, im Personalausweis und mit einem eigenen Organspendeausweis.
Zugleich sollten auch die Angehörigen ein Widerspruchsrecht erhalten, fordert auch Nüßlein: "Wenn die Familie nach dem Tod ihres Angehörigen glaubhaft versichert, dass dieser sich gegen die Organspende entschieden hätte, etwa weil er mehrfach darüber gesprochen hat, dann muss dies entsprechend gehandhabt werden."
Dabei wird in den meisten Ländern mit Widerspruchslösung nicht gegen den Willen der Angehörigen gehandelt. In Frankreich allerdings kann zwar jeder für sich selbst Widerspruch einlegen. Aber schon die Angehörigen verfügen über kein Mitspracherecht.