DOMRADIO.DE: In welchen Ländern ist denn die finanzielle Lage besonders angespannt?
Dr. Klaus Schilder (Referent für Entwicklungsfinanzierung und Finanzmärkte beim katholischen Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor): Wir haben in 21 Ländern einen teilweisen oder vollständigen Zahlungsausfall. Diese Länder sind also praktisch pleite. Das erste Land, das aufgrund der Corona-Krise die Zahlungen einstellen musste, ist Sambia. Sambia ist von Rohstoff-Exporten wie Kupfer abhängig und hat jetzt große Schwierigkeiten, wieder von diesem Schuldenberg herunterzukommen.
DOMRADIO.DE: Liegt es auch an der Pandemie oder welche anderen Gründe gibt es noch?
Schilder: Es gibt eine ganze Reihe von strukturellen Gründen, die Länder in die Schuldenkrise getrieben haben. Viele dieser Staaten, die wir untersucht haben, sind schon seit Jahren kritisch verschuldet. Fallende Rohstoffpreise habe ich angesprochen. Aber auch die Auswirkungen der Pandemie, die globale Rezession, der Abfluss von Investitionskapital haben die Länder an den Rand der Staatsschuldenkrise gebracht.
Viele Länder mussten sich im Übrigen auch in Folge der Corona-Pandemie neu an den Kapitalmärkten verschulden und haben so den Schuldenberg noch vergrößert.
DOMRADIO.DE: Was spüren die Menschen denn konkret von diesen Schulden der Länder?
Schilder: Es fehlt den öffentlichen Haushalten an Geld für praktisch alle Ausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich. Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind jetzt natürlich die Anforderungen an die Gesundheitssysteme im globalen Süden massiv gestiegen.
Es braucht Geld, um Personal zu bezahlen, um Kliniken fit für die Corona-Behandlung zu machen, um Impfketten zu organisieren und um Impfstoffe überhaupt auf dem globalen Markt zu kaufen. All diese Mittel müssen aus der öffentlichen Hand finanziert werden. Das ist momentan wahnsinnig schwierig.
DOMRADIO.DE: Sie fordern echte Schuldenerlasse für diese Länder. Was heißt das?
Schilder: Die G20 haben im Frühjahr letzten Jahres relativ rasch reagiert und ein Schulden-Moratorium für die ärmsten Länder ausgesprochen. Dieses Schulden-Moratorium verschiebt erst mal die Zahlungsverpflichtungen zinsfrei in die Zukunft. Aber irgendwann müssen dann natürlich auch diese ausgesetzten Schuldenraten bezahlt werden.
Die Länder brauchen jetzt wirklich fiskalpolitischen Spielraum, das heißt: Echte Schuldenerlasse, die auf eine Reduzierung des Schuldenberges hinauslaufen. Das ist für die öffentlichen Gläubiger, also für Staaten, die Kredite vergeben haben, noch leicht zu bewerkstelligen, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Viel schwieriger wird es mit der wachsenden Anzahl der privaten Gläubiger, Banken und Fonds. Warum sollten die bei so einem Deal mitmachen? Die haben natürlich erst mal ihre eigenen Interessen im Auge.
DOMRADIO.DE: Würden diese Schuldenerlasse auch den betroffenen Ländern langfristig helfen oder müsste man da andere Lösungen suchen?
Schilder: Ja, selbstverständlich. Wir fordern ja schon seit langem ein internationales Staaten-Insolvenzverfahren. Das, was bei einer Privatinsolvenz selbstverständlich ist - dass man alle Gläubiger an einen Tisch setzt und dann gemeinsam verhandelt, wie man die Forderungen bedienen kann oder eben auf einen Teil verzichtet - das müsste es auf internationaler Ebene auch mit einem unparteiischen Schiedsgremium geben, das dann eben öffentliche und private Gläubiger zusammenbringt.
Bislang entziehen sich die privaten Gläubiger vielfach dieser Verantwortung und die reinen Appelle der G20 reichen momentan nicht aus.
Das Interview führte Dagmar Peters.